Flamme der Freiheit
dass ich aufhöre?« Es klang spielerisch, aber Eleonora fühlte die Spannung in seiner Stimme. Er ließ von ihr ab. »Dann höre ich eben auf.« Er tat so, als wollte er wieder auf seinem Stuhl Platz nehmen.
»Nein!«, schrie Eleonora auf. Es war ein leidenschaftliches Aufbegehren. »Du sollst nicht aufhören, bitte, bitte, hör nicht auf!«
»Was soll ich denn tun?«, fragte Alexander und trat wieder auf sie zu.
»Mich küssen!«, brach es aus ihr heraus. Ungestüm warf sie sich in seine Arme. Alexander gelang es in letzter Sekunde, sie aufzufangen. Und endlich küsste er sie.
»Ach, Eleonora, wenn du wüsstest, wie oft ich an dich denken musste«, flüsterte er leidenschaftlich. »Ich habe meine Großmutter dafür gehasst, dass sie mich damals so unbarmherzig noch in der Nacht unseres gemeinsamen Auftritts mit Schimpf und Schande von unserem Sommersitz gejagt hat.«
»Mit Schimpf und Schande?«, wiederholte Eleonora erstaunt.
»Sie war empört über mich, warf mir vor, nur mit dir gespielt zu haben. Einen Filou hat sie mich genannt, der ein unschuldiges Mädchen lediglich aus einer Augenblickslaune verführen wollte, um es dann fallen zu lassen«, fuhr er fort.
»Und hättest du es getan?«
Alexander erstarrte. Wie ein Stock stand er plötzlich vor ihr.
»Ich will ehrlich sein, ich weiß es nicht. Meine Großmutter kannte mich wohl besser als ich mich selbst. Sie hat sogar recht daran getan, sich damals zwischen dich und mich zu stellen. Wie eine antike Rächerin stand sie an meinem Bett, mit wallenden Haaren, im weißen Gewand. Ich hatte richtig Angst vor ihr. So hatte ich sie niemals zuvor gesehen.«
»Ich auch nicht. Comme il faut war das nicht«, gestand Eleonora und musste plötzlich kichern. Waren es ihre überreizten Nerven oder einfach die Vorstellung, wie die würdige alte Gräfin Dorothea ihrem geliebten Enkel eine nächtliche Szene als zürnender Racheengel gemacht hatte?
»Es war bühnenreif«, sagte Alexander mit einem versonnenen Lächeln.
»Ich hätte es zu gerne miterlebt«, sagte Eleonora genauso versonnen. »Und ich habe so gelitten nach deiner Abfahrt, ohne Abschied, ohne eine Zeile, niemals hast du mir geschrieben«, setzte sie ihre Reise in die Vergangenheit fort.
»Fast ein Jahr lang habe ich dir jeden Monat geschrieben«, widersprach Alexander. »Dann habe ich aufgegeben, weil ich keine Antwort von dir bekam.«
»Ich habe niemals einen Brief von dir erhalten, es hat mir fast das Herz gebrochen.«
»Großmutter hat die Briefe abgefangen.«
»Woher weißt du das«, fragte sie erschrocken.
»Weil ich sie gefunden habe. Sie hat sie alle aufgehoben, sorgfältig in einem Kästchen aufbewahrt, obenauf noch ein Brief von ihr, an dich persönlich adressiert.«
»Wo? Wo sind diese Briefe, wo ist das Kästchen, wo ist der Brief an mich? Kann ich sie sehen, kann ich sie lesen?« Eleonora sprang auf. »Ich will sie haben, sie gehören mir!«, rief sie.
»Dann müsstest du sie dir holen«, erwiderte Alexander.
Sie lief zur Tür. »Sind sie oben in ihrem Salon, in der einen Kommode oder in dem Schreibtisch, wo sie ihre gesamte Korrespondenz aufbewahrte?« Sie hatte schon die Türklinke in der Hand.
»Da liegst du leider falsch mit deinen Vermutungen«, sagte Alexander trocken. Er hatte wieder auf seinem Stuhl Platz genommen und beobachtete sie interessiert. »Die Briefe sind nicht hier in Berlin. Sie sind in einem Geheimfach der Bibliothek von Schloss Sophienhof.« Er griff nach der Flasche Champagner, die geöffnet in einem Eiskübel lag, und schenkte sich sein Glas nach.
»Sie sind auf dem Sophienhof?«, wiederholte Eleonora tonlos. Erschöpft ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl fallen.
»Du kannst sie dir doch dort holen«, schlug Alexander lässig vor und nippte an seinem Glas. »Wollen wir nicht gemeinsam eine kleine Landpartie nach Sophienhof machen?«
»Eine Landpartie nach Sophienhof?«, sagte Eleonora entgeistert.
»Warum nicht?«
»Wie soll das gehen? Spätestens morgen muss ich zurück nach Hohenschönhausen. Hedebrink wartet auf mich.«
»Hohenschönhausen liegt auf dem Weg. Dann fahren wir bei ihm vorbei, und du kannst ihm sogar persönlich kündigen«, entgegnete Alexander.
»Kündigen?« Eleonora schrie es fast. »Er braucht mich doch! Und ich brauche ihn.«
»Was heißt das, du brauchst ihn!« Alexander war aufgesprungen. Mit funkelnden Augen stand er vor ihr. »Wieso brauchst du ihn?«
»Ich brauche das Geld, das ich bei ihm verdiene, und er benötigt mich
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