Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flamme der Freiheit

Flamme der Freiheit

Titel: Flamme der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgid Hanke
Vom Netzwerk:
unkindlich, fasste ich einen spontanen Entschluss.«
    »Ich weiß, ich weiß«, flüsterte Eleonora. »Aber …«
    »Nein, weißt du nicht, kannst du gar nicht wissen, weil ich es dir noch niemals erzählt habe. Hast du jemals etwas von Goethe gelesen?«, unterbrach sie die Gräfin.
    »Aber natürlich, wer hat denn
Die Leiden des jungen Werther
nicht gelesen?«, erwiderte Eleonora empört.
    »Den meine ich nicht«, entgegnete die Gräfin nachsichtig. »Ich spreche jetzt von den
Wahlverwandtschaften.
Dieser Humbug mit der Stimme des Blutes, ich kann es gar nicht mehr hören. Kaum ein Mensch ist mir fremder als mein eigener Sohn Wilhelm. Über meine Enkelinnen kann ich mich eigentlich nicht beklagen. Es sind zwei harmlose Schnattergänschen. Und meine Schwiegertochter Elisabeth ist eine dumme Gans!«
    »Frau Gräfin, so dürfen Sie nicht über Erlaucht reden«, sagte Eleonora erschrocken.
    »Papperlapapp«, versetzte diese ungerührt. »Was wahr ist, muss wahr bleiben. Und du bist mir mit deiner Begabung, deiner Ernsthaftigkeit, deinem Ehrgeiz, deiner Entschlossenheit von Charakter und Wesen tausendmal näher als alle Prewitzens zusammen. Deshalb habe ich dich sozusagen zu meiner Wahltochter oder nenne es von mir aus auch Wahlenkelin erkoren.«
    »Dafür werde ich Ihnen bis an mein Lebensende dankbar sein.«
    »Bis da ist noch weit hin«, erwiderte die Gräfin und erhob sich. »Mein Ende ist da wesentlich näher.«
    »So dürfen Sie nicht reden«, rief Eleonora entsetzt.
    »Mein liebes Kind, ich bin über siebzig und werde nicht ewig leben«, erwiderte die Gräfin gelassen. »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe nur Angst, dass ich dich danach nicht mehr beschützen kann. Das wird dann jemand anders übernehmen müssen. Wollen wir einmal schauen, was ich in dieser Hinsicht vor meinem Ableben für dich tun kann.« Sie trat zu dem winzigen Sekretär in der Ecke des Salons, an dem sie ihre Korrespondenz erledigte, und zog eine seiner Schubladen auf. Ihr entnahm sie das Billett, das ihr vor Wochen von einem königlichen Kurier zugestellt worden war, und drückte es Eleonora in die Hand. »Lies diesen Brief, lies ihn langsam und sorgfältig. Ich will erst morgen wissen, was du dazu zu sagen hast.« Mit einer ausladenden Handbewegung entließ sie Eleonora. »Du darfst jetzt gehen«, sagte sie lächelnd. »Ich möchte meine Ruhe haben.«

3
    E leonora huschte in ihr Zimmer unter dem Dach. Hastig schloss sie die Tür hinter sich zu und ließ sich auf ihr Bett fallen. Sie zog den Brief, den sie spontan in den Ärmel ihres Kleides geschoben hatte, hervor und entfaltete ihn. Ohne zu lesen, starrte sie lange Zeit grübelnd auf die geschwungenen Schriftzüge der preußischen Königin. Nie hätte sie geglaubt, jemals einen selbstgeschriebenen Brief von Königin Luise in der Hand zu halten. Fast zärtlich strich sie über den leise knisternden Briefbogen. In der Ferne waren die hellen Stimmen der beiden jungen Komtessen zu vernehmen. Sophie schien sich von ihrem Migräneanfall erholt zu haben, Charlotte musste von ihrem nachmittäglichen Ausritt zurückgekehrt sein. Beide hatten heute den five o’clock tea bei ihrer Großmutter versäumt. Wenn sie aber Eleonora nicht mehr in deren Salon antrafen, würden sie sich umgehend auf die Suche nach ihr machen. Wie Schwestern waren Charlotte, Sophie und Eleonora in den vergangenen Jahren erzogen worden und mittlerweile fest miteinander verwachsen.
    »Die drei Unzertrennlichen«, hatte Alexander sie im vergangenen Sommer häufiger aufgezogen. Sehr zum Ärger seiner Mutter, die bei dieser Spöttelei stets unwillig die Augenbrauen runzelte.
    Eleonora erhob sich eilig, ging zur Zimmertür und schob den schweren Riegel vor. Sie wollte jetzt nicht gestört werden. Einen Brief der preußischen Königin las man nicht in der Gegenwart aufgeregt plappernder junger Mädchen, die ihr das Schreiben am Ende sogar noch neugierig aus der Hand rissen. Eleonora kannte das Temperament ihrer beiden Freundinnen. Wie alle anderen jungen Mädchen und Frauen des preußischen Königreichs waren auch die beiden Komtessen leidenschaftliche Verehrerinnen der schönen jungen Luise. Da deren Hofdame, die Gräfin von Voss, eine alte Freundin ihrer Großmutter war, waren sie über etliche Details des höfischen Lebens wesentlich genauer informiert als die übrigen Untertanen.
    Eleonora erinnerte sich ganz genau, mit welcher Leidenschaft Charlotte schon als kleines Mädchen das Verhalten der damaligen Verlobten des

Weitere Kostenlose Bücher