Flamme der Freiheit
Nachricht des Geliebten gehofft, vergeblich gewartet, gebangt und war darüber immer blasser und dünner geworden. Sogar Charlotte und Sophie, die die Gründe ihres Kummers nicht kannten, war es aufgefallen.
»Deine Taille ist so schmal geworden, dass ein Mann sie mit beiden Händen umfassen könnte«, stellte Charlotte eines Tages fest.
»Niemals würde ich erlauben, dass ein Mann mich so berührt«, entgegnete Eleonora steif. Aber tief innen drin vermeinte sie noch Alexanders Berührung zu spüren, wie er beide Hände auf ihre knabenhaften Hüften legte und sie vorsichtig an sich zog.
»Eleonora wird immer dünner und ich immer dicker«, meinte Sophie. Sie saß vor dem Spiegel ihrer kleinen Schlafzimmerkommode und betrachtete missmutig ihr pausbäckiges Gesicht.
»Dann solltest du nicht immer bis zum Mittag im Bett liegen bleiben und dir mindestens vier Kannen Kakao als petit déjeuner servieren lassen«, sagte Charlotte. »Warum reitest du eigentlich gar nicht mehr aus?«
»Ich hasse Pferde, ich habe Angst vor ihnen«, erwiderte Sophie.
»Papperlapapp, das ist doch nur eine Ausrede«, entgegnete Charlotte im burschikosen Ton ihrer Großmutter. »Du bist doch von Kind auf immer geritten.«
»Ich habe eben keine Lust mehr«, behauptete Sophie und blies ihre Backen auf.
»Die Freude am Gesang hast du auch verloren«, mischte sich Eleonora ein. »Maestro Farini fragt schon gar nicht mehr nach dir.«
»Mir macht der Unterricht auch keinen Spaß mehr. Eleonora, du hast so eine wunderbare Stimme, da komme ich mir immer nur vor wie eine alte krächzende Krähe«, gestand Sophie.
»Papperlapapp«, zitierte nun Eleonora Gräfin Dorothea, und alle drei Mädchen lachten, wie sie früher so oft gemeinsam gelacht hatten.
Was war es doch für eine unbeschwerte Zeit gewesen. Eleonora sehnte sich danach zurück. Wie frei und unbefangen sie doch die vergangenen Jahre gewesen war. Natürlich hatte sie sich dem Zeremoniell bestimmter Rituale und unumstößlicher Regeln eines adeligen Haushalts zu fügen. Aber was war das im Vergleich zu dem unbarmherzigen Drill des Potsdamer Waisenhauses?
Die regelmäßigen Musikstunden bei Maestro Farini waren Eleonora niemals eine lästige Pflicht, sondern stets Freude gewesen.
»Carissima, du bist die beste Schülerin, die ich jemals hatte. Aus dir wird einmal eine Primadonna assoluta!« Wie oft hatte sie diesen Ausruf zu hören bekommen. Bislang war es ihr Selbstverständlichkeit gewesen, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Aber in den letzten Wochen hatte ihr die Stimme häufiger versagt, war einfach weggebrochen.
»Carissima, du wirst eine Frau, wir müssen deine Stimme schonen und ganz, ganz vorsichtig mit ihr umgehen«, hatte Farini gesagt. Ja, er hatte sogar eine dreiwöchige Unterbrechung der Gesangstunden anberaumt. »Aber ich erwarte von dir, dass du in dieser Pause die Partitur der
Zauberflöte
studierst und die Rolle der Pamina auswendig lernst«, verlangte er.
Heute war die erste Stunde danach gewesen.
»Du brauchst noch Schonung, wir machen weiter Pause«, hatte der Maestro jedoch heute die Stunde abgebrochen. Nur deshalb war Eleonora so pünktlich zur Teestunde erschienen.
Die Stimmen von Charlotte und Sophie kamen immer näher. Nun schienen die beiden direkt vor ihrer Tür zu stehen.
»Eleonora, bist du in deinem Zimmer?«, fragte Sophie. Sie sah, wie die Klinke der Tür langsam niedergedrückt wurde. Gut, dass sie den Riegel vorgeschoben hatte.
»Abgeschlossen«, hörte sie Charlotte sagen.
»Das ist so gar nicht ihre Art«, meinte Sophie verwundert.
Sie rüttelten an der Tür.
»Eleonora, bist du da drinnen?«, rief Charlotte. »So mach doch auf, warum öffnest du nicht?«
Mit angehaltenem Atem kauerte Eleonora auf ihrem Bett und schwieg.
»Vielleicht hat sie sich hingelegt, um sich ein bisschen auszuruhen«, mutmaßte Sophie.
»Dann wollen wir sie nicht weiter stören. Lassen wir sie schlafen«, sagte Charlotte. »Sie hat Ruhe und Erholung nötig. Grand-mère hat die letzte Zeit schon häufiger festgestellt, wie angegriffen sie aussieht.«
»Ein Badeaufenthalt würde ihr guttun«, meinte Sophie nun ernsthaft. Die Stimmen der beiden Mädchen entfernten sich.
Aufatmend lehnte sich Eleonora in ihr Kopfkissen zurück. Ein Badeaufenthalt? Was hatten die Komtessen für Vorstellungen?
Nun ja, Prohaska hatte, nachdem er sich schweren Herzens durchgerungen hatte, sein Kind der gräflichen Obhut zu überlassen, auf Zahlung eines Kostgelds bestanden.
Weitere Kostenlose Bücher