Flamme der Freiheit
Reitbursche ihres Vaters, war Jean Gräfin Dorothea nach ihrer Heirat in den neuen Haushalt, dem Anwesen von Graf Ludovic, gefolgt und hatte sich im Verlauf der Jahrzehnte zum unentbehrlichen Faktotum entwickelt.
»So schenke Er mir ein, damit ich mich gütlich tun kann an diesem Drachengift aus China«, forderte die Gräfin ihren alten Diener auf. Jean verneigte sich und goss die goldene Flüssigkeit in eine durchsichtige Porzellantasse. Echtes Chinaporzellan.
Friedrich der Große war zwar schon fünfzehn Jahre tot, aber beide erinnerten sich noch ganz genau an dessen schnarrenden Tonfall. Der Alte Fritz war einige Male in den verschiedenen Häusern der Prewitzens zu Gast gewesen und hatte laut darüber räsoniert, dass man hier diesem »Teufelsgesöff« durchaus Genuss abzugewinnen verstand. Im Jahre 1777 hatte der König sogar versucht die neue Unsitte des Teetrinkens gänzlich zu verbieten und war damit kläglich gescheitert. Am hartnäckigsten in ihrem Widerstand waren dabei seine im äußersten Westen ansässigen Untertanen gewesen. Zu schnell hatten die Ostfriesen ihren Tee schätzen gelernt, als dass sie sich von dem fernen Preußenkönig die Freude an Kluntjes und Sahnewulkjes hätten verbieten lassen.
Die Gräfin nippte vorsichtig an dem zerbrechlichen Tassenrand und beobachtete Jean.
»Jünger wird Er auch nicht«, setzte sie ihr Spiel fort.
»Im Gegensatz zu Ihnen. Erlaucht wird von Tag zu Tag jünger«, erwiderte Jean galant und verbeugte sich. Ein verschmitztes Lächeln glitt über sein faltiges Gesicht.
»Schmeichler«, sagte Gräfin Dorothea nachsichtig. Nur Jean durfte sich derlei Vertraulichkeiten erlauben. »Nun schicke Er mir die Demoiselle Eleonora, ich habe mit ihr zu reden. Der Maestro soll sie gehen lassen«, befahl sie. »Seit Stunden quält er sie ja schon wieder mit diesen ewigen Koloraturen.«
Nachdenklich schaute Gräfin Dorothea auf die hinter dem alten Diener ins Schloss gezogene Flügeltür. Was wollte sie eigentlich mit Eleonora bereden? Dass ihr Aussehen ihr gar nicht gefiel. Dass sie aufhören sollte, von Woche zu Woche blasser und dünner zu werden? Schon seit Oktober war das kindliche Rund ihrer Wangen verschwunden. Der unschuldige Liebreiz ihres Gesichts schien dem einer klassischen Schönheit zu weichen. Aber war das nicht viel zu streng? Eleonora wurde im März des folgenden Jahres erst siebzehn. Die tiefen Ränder unter ihren Augen und ein melancholischer Zug um den vollen Mund ließen sie älter erscheinen. Eleonora hatte Kummer, Liebeskummer, und darüber wollte sie heute mit ihr reden. Sie musste mit ihr reden. Sie wollte nicht, dass sich ihr Schützling noch weiterhin nach ihrem Enkel verzehrte.
Alexander war längst zu seiner Garnison zurückgekehrt. Ganz Preußen und seine Verbündeten beobachteten mit Argusaugen den französischen General Napoleon aus der Ferne. Sein Erfolg war nicht nur beeindruckend, sondern bedrohlich. Der Ehrgeiz dieses Korsen schien grenzenlos, sein Charakter unberechenbar. Man musste sich vor ihm in Acht nehmen und ihn genau im Auge behalten. Sein Expansionsbestreben verhieß nichts Gutes für das Preußische Königreich und erst recht nicht für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Der Klang des Cembalos aus dem Musikzimmer und die trällernden Tonleitern von Eleonoras klarem Sopran waren verstummt. Maestro Farini hatte seine Schülerin entlassen.
Bestimmt nicht ohne Murren, dachte Gräfin Dorothea amüsiert.
Es klopfte leise an die Tür.
»Komm nur herein, Eleonora!«, rief sie freundlich. Die Tür öffnete sich. Geschmeidig glitt die schlanke Gestalt des jungen Mädchens in den Raum. In der Mitte blieb sie stehen, senkte den Kopf und knickste förmlich.
»Bitte nimm Platz und trink einen Tee mit mir«, forderte Gräfin Dorothea sie auf. »Das warme Getränk wird dir guttun. Du solltest aufhören, deine Stimme überzustrapazieren.«
Aufatmend ließ sich Eleonora auf die dem Sessel der Gräfin gegenüberstehende Ottomane sinken. Sie schenkte sich aus dem silbernen Kännchen eine Tasse ein, versenkte ein Stückchen Zucker in der dampfenden Flüssigkeit und rührte herum. Der kleine silberne Löffel klirrte leise. Nachdenklich schaute sie auf den Grund ihrer Tasse und schwieg.
Gräfin Dorothea beobachtete sie aufmerksam. Die Proben schienen sehr anstrengend gewesen zu sein. Sie bemerkte die Zeichen der Erschöpfung in Eleonoras Zügen. Aber die Anstrengung der Tonübungen hatte sie erhitzt, wie die roten Wangen verrieten.
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