Flamme der Freiheit
wer konnte diesen wunderschönen jungen Prinzessinnen überhaupt widerstehen? Der dicke Wilhelm war schon bei der ersten Begegnung in Frankfurt von beiden Mädchen so begeistert gewesen, dass er alles getan hatte, um eine Heirat zwischen ihnen und zwei seiner eigenen Söhne zu forcieren. Sein Plan sollte gelingen. Was in ganz Europa, quer durch alle Bevölkerungsschichten, geradezu mit Rührung beobachtet und wohlwollend konstatiert wurde, war die Tatsache, dass es sich bei der Heirat von Luise mit dem spröden Friedrich Wilhelm um eine Liebesheirat handelte. Ganz im Gegensatz zu der zwischen ihrer Schwester Friederike und dessen Bruder Louis geschlossenen Ehe. Nur zwei Tage nach der Trauung des Kronprinzenpaars waren diese und der preußische Prinz getraut worden. Es wurde eine kurze, unglückliche Ehe.
Der dicke Wilhelm war aber so glücklich, diese schönen jungen Frauen vom Darmstädter Hof ihrer Großmutter nach Preußen geholt und seinem eigenen Hofstaat einverleibt zu haben, dass er beim alten Schadow die Schaffung einer doppelten Skulptur der beiden Prinzessinnen in Auftrag gab. Der Bildhauer wiederum war so begeistert von seinen beiden Modellen, an denen er sogar »nackt, wie Gott sie schuf«, Maß nehmen durfte, dass er darob vollständig vergaß, seinen Auftraggeber derzeit »Sodom und Gomorrha« geziehen zu haben.
Eleonora kannte natürlich die Skulptur der beiden Prinzessinnen, stand sie doch in winziger, aber vollendeter Kopie auf dem Kaminsims von Gräfin Dorothea. Sie wusste auch, dass Friederike mittlerweile in zweiter Ehe mit einem Prinzen zu Solms-Braunfels verheiratet und seit Januar 1799 vom preußischen Hof ins bayerische Ansbach verbannt war.
»Aufgrund ihres angeblich liederlichen Lebenswandels«, hatte Gräfin Dorothea verächtlich geschnaubt. »Ist es ein Wunder, wenn eine schöne junge Frau sich anderweitig die Zuneigung sucht, die ihr eigener Ehemann so missen lässt.«
Tatsächlich pfiffen es die Spatzen von den Berliner und Potsdamer Dächern, dass Prinz Louis seiner Frau nur mit kalter Verachtung begegnete. Auch nach der Heirat hatte er sich niemals von seiner Geliebten getrennt. Gräfin Dorothea betrachtete seinen frühen Tod als eine verdiente Strafe des Schicksals. Seit Jahr und Tag erfreute sie sich jedoch aus der Ferne des ehelichen Glücks, das mit der Heirat von Luise und Friedrich Wilhelm am preußischen Hofe Einzug gehalten hatte.
»Diese kleine Prinzessin hat diesen Tropf erst zu einem richtigen Menschen gemacht«, sagte sie oft, am liebsten laut und unüberhörbar in Gegenwart ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter, die bei diesen resoluten Worten stets schmerzlich zusammenzuckten.
»Mais, belle-mère, je vous en pries!«, lautete stets die geflüsterte Replik von Gräfin Elisabeth, dem unweigerlich das herzhafte »Papperlapapp« von Gräfin Dorothea folgte.
Eleonora kannte die kleinen Zwiste und Rituale dieses Dauerkonflikts nun bereits seit Jahr und Tag, und sie liebte sie.
Sie erhob sich von ihrem Bett und trat an das Fenster. Es war ein stürmischer kalter Abend im Spätherbst. Tagsüber hatten die Wolken sehr tief gehangen, so dass der Kutscher bereits den ersten Schneefall verkündet hatte.
»Oh, dann können wir ja wieder Schlitten fahren«, hatte Charlotte gejubelt und war aufgesprungen. »Dann will ich aber ganz schnell noch einmal ausreiten, ehe die Wege vereisen.«
Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Der Sturm rüttelte an den Fensterläden des Schlosses. Eleonora lehnte die Stirn an die Kühle des Fensterglases und schaute hinaus. In der Ferne war nur umrisshaft die Silhouette der Stallgebäude erkennbar. Aber aus den winzigen Fenstern der Stallungen leuchtete es in einem hellen, warmen Gelb. Eleonora wusste, dass die zahlreichen Knechte und Burschen im Lichte der Stalllaternen jetzt ihre Arbeit verrichteten, die Pferde putzten und striegelten, deren Hufe auskratzten und das Sattelzeug polierten. Vielleicht war einer von ihnen sogar bereits dabei, die Kufen des großen Winterschlittens zu schleifen. So still der Gebäudekomplex auch in der Dunkelheit stand, schien aus seinem Innern etwas von einer verheißungsvollen Betriebsamkeit auszugehen. Die winterlichen Festtage standen unmittelbar bevor. Vielleicht würde Gräfin Dorothea ja zu Neujahr wieder ein Schlittenrennen veranstalten?
Ein tiefer Gong ertönte durch das Schloss. Er rief zur Abendtafel.
Zwischen den kahlen Ästen einer entlaubten Eichenkrone stieg über dem Dachfirst der Stallungen
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