Flamme der Freiheit
Gräfin Baumeister Gilly die Hölle heißgemacht hatte, war das Palais in der Nähe des Berliner Stadtschlosses auch im nächsten Jahr nicht fertig geworden. Und dann?
»Gilly kann den frühen Tod seines Sohnes einfach nicht verwinden«, meinte die Gräfin nachsichtig.
»Sollten wir nicht den jungen Schinkel mit den weiteren Arbeiten betrauen?«, schlug ihr Sohn beflissen vor.
»Es wäre eine Überlegung wert, schließlich lebt er ja im Hause Gilly und war mit dem jungen Friedrich eng befreundet«, dachte die Gräfin laut nach.
»Bitte, bitte, grand-mère, nicht zu lange überlegen«, rief Charlotte. »Ich bin schon neunzehn und immer noch nicht offiziell in der Gesellschaft eingeführt. Ich habe Angst, eine alte Jungfer zu werden, ehe ich mein Debüt feiere.«
»Ich werde auch schon achtzehn im Februar«, unterbrach sie ihre Schwester.
»Und bist auch auf dem Wege, eine alte Jungfer zu werden?«, sagte ihre Großmutter ironisch.
»Ich fühle mich bereits so«, behauptete Sophie keck.
»Alors, ma petite, il ne faut pas exagérer«, rügte prompt ihre Mutter.
»Meine Güte, Elisabeth, junge Mädchen neigen nun einmal zu Überschwang und Übertreibung«, entgegnete die Gräfin genauso prompt.
Eleonora, die bislang der Konversation mit höflicher Aufmerksamkeit gefolgt war, senkte den Kopf und lächelte verstohlen in ihre Suppentasse. Es war mal wieder so weit. Sie liebte diese kleinen Plänkeleien. Mit Genuss löffelte sie ihre Suppe aus. Eine ausgezeichnete Bouillon hatte Babette wieder gezaubert. Die Kochkünste der Mamsell hatten einen Ruf wie Donnerhall. Die Gräfin hatte sie schon als junges Mädchen von einem märkischen Bauernhof geholt und sie durch die harte Schule ihres damaligen französischen Kochs gehen lassen. Der Aufwand hatte sich gelohnt. Nach Monsieur Legrands Tod hatte Babette das Zepter in der Küche übernommen und schwang es nun schon seit fast zwei Jahrzehnten mit wachsender Autorität und Reputation. Graf Hardenberg hatte sie schon einmal abwerben wollen, war aber kläglich gescheitert. Auch dem einfachsten Abendessen, wie es heute serviert wurde, verstand Babette einen Hauch von Delikatesse zu verleihen. So war auch das Omelett mit Waldpilzen und Wildkräutern von duftiger Leichtigkeit.
»Dürfte ich Mademoiselle noch ein bisschen nachlegen?«, flüsterte der junge Diener, der erst seit wenigen Wochen am Sophienhof war, über ihrer Schulter. Er war der Sohn eines Fischers, der mit seiner Familie am nahegelegenen See wohnte. Noch vor wenigen Jahren hatte er gemeinsam mit den jungen Komtessen die dicken Zuchtkarpfen im Schlossteich geärgert. Anton war immer ein hübscher Bengel gewesen, der der Gräfin durch seine Schlagfertigkeit auffiel. Seine Aufgewecktheit hatte ihm die Stelle bei Hofe eingetragen. Wenn er sich bewährte, sollte er sogar mit nach Potsdam und Berlin gehen, vielleicht sogar eine Ausbildung zum Kutscher machen. Seine ersten Meriten hatte er sich bereits als Küchenjunge verdient.
»Danke, Anton, ich nehme noch eine ganz kleine Portion«, sagte Eleonora freundlich. Sie warf einen Blick auf Jean, der mit auf dem Rücken verschränkten Händen neben der Tür des Speisesaals stand und das Ballett der Domestiken unauffällig dirigierte. Er beobachtete den jungen Anton mit Argusaugen, aber alles funktionierte reibungslos. Eleonora suchte Jeans Blick, schaute bedeutungsvoll auf Anton und nickte beifällig. Jean strahlte auf.
Seit dem ersten Tag herrschte zwischen ihr und dem alten Diener ein stilles Einvernehmen. Neben Maestro Farini hatte auch er das verunsicherte kleine Mädchen nach seiner Ankunft unauffällig unter seine Fittiche genommen. Mit ihrer kindlichen Würde und ihrer stillen Zurückgenommenheit hatte Eleonora Prohaska schnell die Herzen des Prewitzschen Haushalts gewonnen. Sogar der wortkarge Graf Ludovic hatte sich ab und an ein paar freundliche Fragen abgerungen und der absolut unmusikalische Wilhelm ihre musikalische Begabung gelobt. Nur Elisabeth hatte sich bis heute nicht an ihre Anwesenheit gewöhnt und bemühte sich seit Jahr und Tag, das Kind und nun das junge Mädchen wie Luft zu behandeln. Zu Beginn hatte Eleonora diese Hochnäsigkeit, gepaart mit schneidender Arroganz, tief verletzt. Aber mittlerweile hatte sie längst gelernt, damit zu leben, weil erkannt, dass sich hinter diesem Verhalten eigentlich nur eine tiefe Unsicherheit verbarg. Elisabeth fühlte sich vom Leben stiefmütterlich behandelt. Keiner mochte sie so richtig, einschließlich
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