Flamme der Freiheit
mir unbenutzt herumstehen, während du ihn doch viel besser gebrauchen kannst.«
»Aber ich kann doch gar nicht spielen«, erwiderte Eleonora.
»Dann wirst du es eben lernen«, versetzte Gräfin Dorothea. »Selbstverständlich wird deine Gesangsausbildung weiterhin im Vordergrund stehen bleiben, aber eine jede gute Sängerin muss auch in der Lage sein, sich selbst auf dem Klavier zu begleiten. Deshalb habe ich angeordnet, meinen Flügel in diesen Salon zu bringen.«
»Werden Sie ihn nicht vermissen?«, fragte Eleonora immer noch fassungslos. »Wollen Sie denn selbst gar nicht mehr spielen?«
»Schau dir meine Hände an!« Gräfin Dorothea hielt ihr die gepflegten Hände entgegen.
Zum ersten Mal fiel Eleonora auf, dass nur sie das wahre Alter der Gräfin verrieten. Ein Geäst von feinen Falten und Runzeln überzog Handrücken und die schlanken Finger. Und zum ersten Mal fiel ihr auf, dass diese gekrümmt waren. Betroffen betrachtete sie sie und schaute zu ihrer Gönnerin empor.
»Ja, mein Kind, musst gar nicht so bekümmert schauen, das ist nun einmal der Lauf der Welt. Ich kann nicht mehr Klavier spielen, ich habe keine Kraft mehr in den Händen, kann die Tasten nicht mehr anschlagen. Der Schmerz ist einfach zu groß. Warum soll der Flügel dann unbenutzt bei mir herumstehen, wenn er dir hier oben doch viel bessere Dienste leisten kann?«
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, erwiderte Eleonora mit gepresster Stimme. »Ich frage mich sowieso immer wieder, wie ich Ihnen jemals danken kann für all das, was Sie für mich getan haben. Ich werde niemals in der Lage sein, dies angemessen zu tun.« Eleonora schluchzte unwillkürlich auf. »Diese Frage lässt mir einfach keine Ruhe, sie beschäftigt mich immer wieder und wieder und lässt mich so manche Nacht nicht schlafen.«
»Mein liebes Kind, das darfst du nicht tun, du hast mir doch schon so viele Male gedankt.«
»Aber wie denn?«
»Mit deinem Gesang, mit deinem Verhalten, mit deinem Anblick, mit deinem liebreizenden Wesen«, behauptete die Gräfin.
»Sie müssen nicht übertreiben, Madame«, wehrte Eleonora ab.
»Ich übertreibe nicht, Eleonora«, sagte die Gräfin fest. »Du bist eine Bereicherung für mein Leben und kannst mir nur angemessen danken, indem du konsequent den dir vorgezeichneten Weg weitergehst. Versprichst du mir das, Eleonora?«
»Ich verspreche es«, entgegnete diese mit fester Stimme.
Ein tiefer Gong ertönte durch das Palais. Er war noch viel lauter und tiefer als der von Schloss Sophienhof.
Gräfin Dorothea zog den Arm, den sie zuvor tröstend um Eleonoras Schultern gelegt hatte, wieder fort. Sie richtete sich auf und atmete tief durch.
»Das Abendessen!«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
»Oh, ich habe mich noch gar nicht waschen können«, rief Eleonora bestürzt. »Charlotte und Sophie halten die ganze Zeit das Waschzimmer belegt.«
»Charlotte, Sophie!«, rief die Gräfin streng. In Sekundenschnelle sprang die schmale Tür des Waschzimmers auf, und ein brauner und ein blonder Schopf ihrer Enkelinnen kamen zum Vorschein.
»Was belieben, grand-mère?«, erkundigten sie sich beflissen.
»Ihr gebt jetzt sofort das Waschzimmer für Eleonora frei«, befahl ihre Großmutter. »In zehn Minuten erwarte ich euch drei frisch gewaschen und gekämmt, also mit frisch geflochtenen Zöpfen bei Tisch.«
»Wirklich frisch geflochten?«, jammerte Sophie prompt und nestelte an ihrem dicken Zopf. »Das schaffe ich doch gar nicht, und Emma ist auch noch nicht da.«
»Die Kutsche ist bereits vor einer Viertelstunde vorgefahren«, unterrichtete sie ihre Großmutter. »Aber du wirst die nächsten Tage auf die Dienste von Emma oder Paula verzichten müssen. Madame Hortense hat die beiden sofort in Beschlag genommen.«
»Oh, die Ärmsten«, riefen alle drei wie aus einem Mund.
Sie wussten zu genau, was den beiden bevorstand.
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht!« Voller Skepsis unterzog Charlotte ihre jüngere Schwester von Kopf bis Fuß einer intensiven Betrachtung.
»Was weißt du nicht?« Komtesse Sophie Maria Helena von Prewitz zu Kirchhagen stand vor einem langen schmalen Spiegel. Bislang hatte sie unbefangen mit ihrem eigenen Spiegelbild kokettiert, fuhr bei den Worten ihrer Schwester aber empört herum.
»Findest du das Dekolleté nicht wirklich ein bisschen zu gewagt?«, erkundigte sich diese maliziös.
»Mais non, Mademoiselle la comtesse, das trägt man doch jetzt so. Eine ’ohe Büste über der Empiretaille
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