Flamme der Freiheit
siebzehn!«, entfuhr es Eleonora.
»Richtig, und bekam mein zweites Kind mit achtzehn. Das starb, als es zwei Jahre alt war. Insgesamt habe ich vier Kinder geboren, bis dann dein Vater Wilhelm kam, der als Einziger überlebte. Da war ich mittlerweile dreiundzwanzig, so alt wie du jetzt«, wandte sie sich Charlotte zu. »Ich halte nur wenig von diesem ganzen neumodischen Romantikfirlefanz, der jetzt gerade so à la mode ist, aber wenn meine Töchter überlebt hätten, hätte ich niemals zugelassen, sie so früh zu verheiraten. Ich bin zwar eine Anhängerin arrangierter Ehen, aber ich würde niemals jemanden von euch zu einer Ehe zwingen.«
»Jetzt redest du ja nicht von mir, sondern von Alexander«, entgegnete Charlotte. Eleonora schaute ihre Freundin bewundernd an. Sie war so scharfsinnig.
»Richtig!«, bestätigte ihre Großmutter lächelnd. »Und der erklärt sich einfach nicht.«
»Irgendwie gönne ich das ja dieser schnippischen Karoline«, sagte Charlotte schadenfroh.
»Ob ich einfach mal mit ihm rede«, dachte die Gräfin laut. »Es ist eigentlich an der Zeit, dass er sich endlich mal wieder seiner alten Großmutter besinnt. Aber dieser Napoleon lässt unserem armen Preußen einfach keine Ruhe.«
Schneller, als alle geglaubt hatten, war dann aber auch Charlotte unter der ersehnten Haube. Ein junger schwedischer Gesandter entflammte bei den Proben zu einer Scharade im Marwitzschen Palais innerhalb nur weniger Stunden für immer für die Komtesse Charlotte von Prewitz zu Kirchhagen, hielt schon eine Woche später um ihre Hand an und entführte nach nur drei Monaten eine strahlende Charlotte hoch in den fernen Norden. Das junge Paar wurde in Potsdam getraut, genau in der Kirche, in der Eleonora von Gräfin Dorothea das erste Mal gehört worden war. Charlotte hatte sich genau diese Kantate von Friedemann Bach als Hochzeitslied gewünscht, sozusagen als Verbeugung vor ihrer geliebten Großmutter und als Referenz für ihre Freundin und Wahlschwester.
Eleonora stand oben auf der Empore. Dort konnte sie auf die gesamte Hochzeitsgesellschaft niederschauen, ohne dass diese es bemerkte. Sie zuckte zusammen, als sie Alexander entdeckte. Langsam schritt er den Gang der Kirche hinab, um in der ersten Reihe Platz zu nehmen. Und die junge schöne Dame an seiner Seite? Das konnte nur Karoline von der Marwitz sein. Sie trug ihr kastanienbraunes Haar zu einer eleganten Frisur nach antikem Vorbild hochgesteckt und natürlich ein Kleid im Empirestil. Durch die helle, weich fallende Mousseline ließ sich nur der Schimmer eines zarten Türkis erahnen. Eng schmiegte sich der Stoff an die hochgewachsene Gestalt der jungen Herzogin. Sie zitierte die Blöße der Damen Recamier und Beauharnais, ohne sich selbst nackt zu zeigen.
Wie schön sie ist, stellte Eleonora schmerzlich fest. Und so jung sah sie aus, noch lange nicht wie dreiundzwanzig, sondern wie gerade achtzehn Jahre geworden. Eleonora schob sich unauffällig näher an das Geländer der Kirchenempore, um Karoline von der Marwitz etwas genauer zu betrachten. Wenn man richtig hinschaute, zeichnete sich da nicht doch schon ein feiner, aber dennoch scharfer Zug um ihre Mundwinkel ab? Besitzergreifend lag ihre weiß behandschuhte Hand auf Alexanders Arm. Nun beugte sich dieser zu ihr hinunter und sagte etwas. Ein charmantes Lächeln erhellte sekundenschnell das Gesicht der Karoline von der Marwitz und ließ sie in diesem Moment von strahlender Schönheit erscheinen.
Wäre da nicht die überglückliche junge Braut gewesen. Die hübsche Charlotte wirkte an der Seite ihres schwedischen Hünen wie ein kleines Mädchen. Anbetend schaute sie zu ihrem Wikinger, wie Gräfin Dorothea ihn liebevoll spöttisch zu nennen pflegte, empor und schien ihr Glück kaum fassen zu können. Sie war so selig, dass sie die Tatsache, dass Sophie mit einem fröhlich krähenden jungen, dicken Herzog namens Albert aus Bayreuth angereist war, kaum zu berühren schien. Doch, sie freute sich, ihren vier Monate alten Neffen endlich kennenzulernen, drückte ihn pflichtschuldig sekundenlang an sich, gab ihm einen Kuss und wandte sich wieder wichtigeren Dingen zu.
Es versetzte Eleonora einen Stich, ihre beiden Freundinnen so glücklich in ihren neuen Rollen als Mutter und Ehefrauen zu sehen.
Niemals würde sie so etwas erleben. Ob sie überhaupt jemals heiraten, jemals Kinder bekommen würde? Würde sie überhaupt einen Mann lieben können? Würde sie sich überhaupt wieder küssen lassen wollen?
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