Flamme der Freiheit
Verlobungszeit von einem Jahr wurde geheiratet, im fernen Bayreuth, wo der große Familiensitz der Lichtenfels’ sich befand, wo die Familie auch in einem trutzigen Schloss hoch auf einem Berg über der fränkischen Schweiz residierte.
»Es muss schon eine ganz große Liebe sein, die Sophie dazu bewegen konnte, ihrer preußischen Heimat den Rücken zu kehren«, erklärte Gräfin Dorothea nach der Rückkehr von den Hochzeitsfeierlichkeiten.
»Diese Bayern sind wirklich ein besonderer Schlag«, sagte Gräfin Elisabeth.
»Ja, ein besonderer Schlag sind die Menschen in der neuen Heimat deiner Tochter«, pflichtete Gräfin Dorothea ihr verdächtig bereitwillig bei. »Nur dass es sich bei ihnen nicht um Bayern, sondern um Franken handelt.« Mit einem mokanten Lächeln führte sie ihre Teetasse zum Mund und beobachtete ihre Schwiegertochter über deren Rand. Natürlich zog Gräfin Elisabeth die üblich beleidigte Miene, was die alte Gräfin mit einer tiefen Befriedigung zu erfüllen schien.
Alle Prewitzens waren eigentlich sehr angetan und zufrieden mit der Verbindung, die durch Sophies Heirat mit dem süddeutschen Adel geknüpft wurde. Alle bis auf eine, nämlich ihre Schwester Charlotte.
»Das ist doch eigentlich ein Unding, dass die jüngere vor ihrer älteren Schwester heiratet«, jammerte sie unentwegt. »Quelle blamage! Ich fühle mich bis auf die Knochen blamiert. Erst das zweimal verschobene Debüt, so dass ich fast zwanzig war, als ich endlich bei Hofe vorgestellt wurde, und nun …«
Eigentlich hatte Charlotte überhaupt nicht nahe am Wasser gebaut, aber diese Kränkung, dass die fast zwei Jahre jüngere Sophie vor ihr geheiratet hatte, verletzte sie zutiefst. So begann sie verdächtig zu schniefen, so, wie es eigentlich immer nur Sophie an sich gehabt hatte.
»Alors, ma chère, je t’en pries. Du wirst doch jetzt nicht die Contenance verlieren«, rügte sie ihre Großmutter. Sie konnte derlei Gefühlsausbrüche nicht gut ertragen. Normalerweise begegnete sie diesen mit schneidendem Sarkasmus, zumindest bei ihrer Schwiegertochter und ihren alten, manchmal ein bisschen zu exaltierten Freundinnen. Bei ihrer Enkelin Charlotte schien sie jedoch gewillt, eine Ausnahme zu machen.
»Ich komme mir vor wie eine vertrocknete alte Jungfer«, klagte Charlotte. »Im Herbst werde ich schon dreiundzwanzig, und es ist weit und breit kein Verehrer in Sicht, der mir den Hof macht.«
»Vielleicht solltest du dich mit Karoline zusammentun, die ist schon fast vierundzwanzig und immer noch nicht unter der Haube«, schlug ihr ihre Großmutter vor.
Erstaunt schaute Charlotte sie an. »Aber ist sie nicht so gut wie mit Alexander verlobt? Zumindest sind sie einander doch seit Jahr und Tag versprochen.«
Die Gräfin wiegte nachdenklich den Kopf. »Sind sie eigentlich schon, wären schon längst verheiratet und würden uns mit einer Enkelschar erfreuen, wenn es nach meiner Freundin Johanna und mir ginge. Aber wenn Alexander sich partout nicht erklärt!«
»Vielleicht liebt er sie gar nicht«, mutmaßte Charlotte. So schnell war sie von ihrem eigenen Kummer abzulenken.
»Liebe, papperlapapp, was heißt schon Liebe?«, schnaubte Gräfin Dorothea verächtlich. »Das ist so ein neumodisches Zeug, das sich die jungen Leute heute in den Kopf gesetzt haben. Sie haben ihre Gefühle entdeckt, suchen die Seelenverwandtschaft, träumen von einem Ineinanderaufgehen, dem Verschmelzen von Mann und Frau, wollen im Mann das Weibliche, in der Frau das Männliche entdecken. So ein Firlefanz!« Sie hatte sich richtig in Rage geredet.
»Aber, grand-mère, hast du denn Großvater nicht geliebt, als ihr geheiratet habt?« Nun war Charlotte entsetzt.
»Ich war gerade sechzehn, als ich heiratete, noch ein halbes Kind«, erwiderte Gräfin Dorothea leise. »Ich war gar nicht gefragt worden. Nein, ich war nicht gezwungen worden. Ich wusste schon von Kind an, wen ich einmal heiraten würde. Es war eine arrangierte Ehe, aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, mich dagegen aufzulehnen. Ich habe euren Großvater nur einmal vor unserer Hochzeit gesehen.«
»Das ist ja schrecklich, da hast du ihn ja kaum gekannt!« Charlotte schüttelte es fast vor Entsetzen.
»Nein, ich habe ihn nicht gekannt, ich habe ihn erst kennenlernen müssen. Das hat seine Zeit gedauert. Schon ein knappes Jahr später kam unser erstes Kind zur Welt, ein kleines Mädchen, das nur drei Tage nach der Geburt starb«, erzählte Gräfin Dorothea.
»Da waren Sie doch erst
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