Flamme der Freiheit
niemand erfahren?«
»Das ist ja nur die Hälfte der Nachricht«, entgegnete Anton.
»Und wie lautet die zweite Hälfte?«
Anton schaute Eleonora an. »Du musst mir ganz fest versprechen, mich nicht zu verraten, kein Sterbenswörtchen zur alten Gräfin«, verlangte er.
»Ich verspreche es dir, aber nun sag schon!« Eleonoras Herz begann plötzlich zu pochen, schneller und schneller. Schon wieder Angst, die in ihr aufstieg, eine neue, ihr unbekannte Furcht.
»Es geht um Alexander, er ist bei der Schlacht von Austerlitz verwundet worden, schwer verwundet, und liegt in einem Lazarett bei Wien«, sagte Anton heiser. Jetzt hatte die Furcht einen Namen. Es war eine unbeschreibliche Angst um Alexander.
»Wie schwer ist er verwundet, wann ist es geschehen, warum erfahren wir erst jetzt davon?«, stieß Eleonora hervor. Der Brief an seine Mutter glitt ihr aus den Händen. Ihr wurde schwach. Sie lehnte sich gegen die kalte Wand des Treppenhauses. Mit entsetzt geweiteten Augen schaute sie Anton an. Er war ein richtiger Mann geworden, stellte sie verwundert fest. Die Livree eines Prewitzschen Kutschers stand ihm gut.
»Er hat sich tatsächlich den Truppen von General Kutusow angeschlossen und ist nach seiner Verwundung auch in ein russisches Lazarett gekommen«, erzählte Anton. Er bückte sich, um den zu Boden gefallenen Brief aufzuheben und in das Revers seiner Livree zu schieben.
»Was willst du damit?«, fuhr Eleonora ihn an.
»Ich kann ihn morgen der Gräfin geben«, erklärte er. »Ich fahre ihr doch nach. Ich breche nur später auf, weil mir Jean noch einen Koffer für Alexander gepackt hat. Gräfin Elisabeth ist mit Christian sofort in der Berline losgefahren, um so schnell wie möglich nach Wien zu kommen.«
»Und Graf Wilhelm?«
»Den wird man unterwegs in Küstrin bei seinem Regiment absetzen«, erklärte Anton.
»Warum soll Gräfin Dorothea von alldem nichts erfahren?«
»Von alldem ist so nicht richtig«, entgegnete Anton. »Nur nichts von Alexanders Verletzung. Es war Jean, der das so anordnete. Du kannst dir doch selbst denken, warum man gegenüber der alten Gräfin Schweigen bewahren muss.«
Anton starrte Eleonora an, sie starrte zurück. Fast eine Minute standen sie einander Auge in Auge gegenüber. Dann senkte Eleonora den Kopf. Sie biss sich auf die Lippe und nickte schweigend. Eine Träne kullerte ihr über die Wange.
»Ich weiß, warum«, brachte sie heraus. »Aber kannst du mir wenigstens sagen, wie schwer Alexander verletzt ist?«
»Ein Steckschuss in der Hüfte, ein Streifschuss am Oberarm, mehr weiß man auch nicht«, antwortete Anton und hob den schweren Koffer wieder an. »Ich muss jetzt gehen, und denk dran, was du mir versprochen hast, kein Wort zu der alten Gräfin«, rief er ihr zu und lief mit erstaunlicher Behendigkeit die steinerne Treppe Richtung Eingangshalle hinunter.
Mit schleppenden Schritten suchte Eleonora den Weg zurück, den sie noch vor wenigen Minuten leichten Fußes und fröhlich trällernd entlanggehüpft war. Sie wollte eigentlich jetzt nur noch eines, so schnell wie möglich alleine sein und nur nicht der Gräfin unter die Augen treten. Doch plötzlich stand Jean vor ihr. Ohne sich um Etikette und Form zu kümmern, packte er sie am Arm und zog sie mit sich.
»Aber Jean, ich bitte Sie, was machen Sie da?«, protestierte Eleonora schwach.
»Du kommst jetzt einfach mit mir mit, hinunter zu uns in die Küche. Babette wartet schon auf dich«, sagte Jean resolut. »Keine Widerrede!«, erstickte er jeden weiteren Protest seitens Eleonoras.
Es tat so gut, wieder einmal die vertraute Räumlichkeit der Küche zu betreten. Erst jetzt fiel Eleonora auf, wie lange sie nicht mehr hier unten gewesen war. Babette saß an dem blankgescheuerten Holztisch, adrett wie eh und je mit weißer Schürze und gefalteter Haube. Ein Topf dampfender Kartoffeln stand vor ihr, in einer Schüssel daneben die bereits gepellten. Beim Anblick der verstörten Eleonora stieß sie einen überraschten Schrei aus und sprang auf. Mit zwei Schritten war sie bei ihr und schloss sie in die Arme.
»Also weißt du es schon«, sagte sie leise. Eleonora nickte. Aber dann war es um ihre Beherrschung geschehen. Sie brach in haltloses Schluchzen aus. Es war, als hätte sich eine innere Schleuse geöffnet. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal so geweint, nein, ob sie jemals so heftig geweint hatte. Begütigend strich Babette ihr über den Rücken. »Komm, komm, mein Kind, beruhig dich, beruhig dich. Jetzt
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