Flamme der Freiheit
setz dich doch erst einmal hin. Komm hier an den Tisch und trink eine schöne heiße Schokolade.«
Babette nötigte die schluchzende Eleonora auf eine Küchenbank direkt am Tisch. Erst jetzt bemerkte sie Emma und Paula, die mit erschrockenen, weit aufgerissenen Augen Eleonoras Zusammenbruch verfolgten. Darüber hatten sie gänzlich ihre Arbeit vergessen.
»Nun gafft nicht so neugierig, sondern macht euch an eure Arbeit!«, fuhr Babette die beiden Zofen an. Schuldbewusst senkten diese ihre Köpfe und fuhren fort, das Tafelsilber zu polieren.
Eleonora schluckte und fuhr sich mit einer ihr von Babette entgegengehaltenen Serviette über das Gesicht. Und schon stand ein großer Becher heiße Schokolade vor ihr. Vorsichtig nahm sie einen Schluck. Heiß und süß, ganz wie früher. Sie lächelte unter Tränen.
»Schmeckts dir?«, erkundigte sich Babette gespannt. »Die habe ich extra für unsere Sophie gekauft.«
Sophie! Charlotte! Wie hatte sie die beiden nur vergessen können? Planten sie nicht, den gesamten Sommer in der alten Heimat zu verbringen? In knapp zwei Wochen wollten sie kommen. Sie hatte es völlig vergessen. Wussten die Schwestern überhaupt von der Verletzung ihres Bruders? Alexander! Es durchfuhr sie wie ein Messerstich. Erneut schossen ihr die Tränen in die Augen.
Babette strich ihr mit ihrer abgearbeiteten Hand über das Haar. »Ich weiß, es tut dir weh, aber trotzdem: Kein Wort zu Gräfin Dorothea!«, befahl sie mit liebevoller Strenge.
Eleonora nickte.
»Nichts, aber auch gar nichts darfst du dir anmerken lassen, dass du von seiner Verwundung weißt.«
Eleonora nickte erneut.
»Kein Mensch auf dieser Welt könnte unsere Gräfin Dorothea davon abhalten, sich sofort auf die Reise zu ihrem geliebten Enkel zu machen«, fuhr Babette fort.
»Und das wäre ihr Tod«, bestätigte Jean düster.
So konnte nur von ihm die Idee von der absoluten Geheimhaltung gegenüber der Gräfin stammen. Eine Reise in das ferne Wien wäre für sie in ihrem geschwächten Zustand lebensbedrohlich gewesen. Wahrscheinlich hatten Alexanders Eltern vor ihrer Abreise beide nur noch ja und amen zu dieser Entscheidung genickt und alles Übrige dem Personal überlassen. Der Haushalt würde auch in den nächsten Tagen weiterlaufen wie geschmiert. Seitens ihrer Bediensteten würde Gräfin Dorothea nicht eine Silbe erfahren. Die einzige Gefahrenquelle stellte Eleonora dar. Deren emotionale Erschütterung war unübersehbar. Mit ihren feinen Antennen würde die Gräfin sofort spüren, dass ihr Schützling zutiefst verstört war, und wissen wollen, welche Gründe dem zugrunde lagen.
»Kein Wort zur Gräfin!«, wiederholte Babette und drückte Eleonora eine kalte Kompresse auf die verquollenen Augen. »Und dass du geweint hast, darf sie auch nicht sehen.«
»Sie wartet auf mich, sie will doch bestimmt wissen, wie ihre Schwiegertochter auf ihre Entschuldigung reagiert hat«, wandte Eleonora ein, presste aber gehorsam die kalte Kompresse auf Augen und Nase.
In diesem Moment klingelte es. Alle Anwesenden fuhren zusammen.
»Der Fünfuhrtee!«, sagte Babette erschrocken. Wie eine Antwort hämmerte es dumpf aus dem Speiseaufzug.
Jean eilte zu ihm und riss dessen Tür auf.
»Wo bleibt mein five o’clock tea?«, hörte Eleonora es gedämpft von oben herabklingen. Es war unverkennbar die Stimme der Gräfin.
Nun steckte Jean den Kopf in den Schacht. »Paula ist schon auf dem Weg zu Ihnen«, rief er nach oben.
In Windeseile hatte Babette schon das übliche Tablett mit Teekanne, Sahne, Kandiszucker und ein paar englischen Keksen zurechtgestellt. Genauso schnell hatte Paula es hochgenommen und war durch die von Jean bereits aufgehaltene Küchentür enteilt.
»Ich bringe es ihr lieber selbst, als es in den Aufzug zu stellen«, sagte sie hastig. Es erfolgte so blitzschnell, dass die Gräfin gar nicht bemerken konnte, dass Jean bei seiner Antwort ein bisschen gemogelt hatte.
Eleonora vernahm ein dumpfes Klappen aus dem Schacht.
»Jetzt hat sie oben die Tür wieder zugemacht«, sagte Emma kichernd.
»Kann man eigentlich ganze Gespräche durch den Aufzug mithören?«, wollte Eleonora wissen.
»Bislang waren wir alle viel zu diskret, um es überhaupt auszuprobieren«, erklärte Babette würdevoll. »Und von der gräflichen Familie käme wahrscheinlich niemand auf die Idee, so etwas zu tun.«
»Es kann passieren, wenn alle Türen und Klappen versehentlich offen bleiben«, mischte sich Emma ein.
»Woher weißt du das denn?«, fuhr
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