Flamme der Freiheit
erlaubt.
»Meine liebe Schwiegertochter, ich möchte dich um Verzeihung bitten«, diktierte sie Eleonora in die Feder. »Ich wollte dich nicht kränken oder gar verletzen mit meiner ausfallenden Bemerkung. Hab Nachsicht mit mir, einer alten Dame, der ihre Gesundheit und der Zustand ihres geliebten Preußens so sehr zu schaffen machen. Ein verletzter Hund beißt um sich, eine alte Schwiegermutter leistet sich taktlose Ausrutscher, die ich dich mit diesem Brief herzlich bitte mir nachzusehen. Ich entschuldige mich in aller Form. Bitte verzeih mir!«
Nahezu flehend hatte Gräfin Dorothea beim Diktat dieses Satzes geklungen. Bei den letzten Worten brach ihr sogar die Stimme weg. Eleonora erschrak erneut. Sie erhob sich von dem Sekretär, an dem sie zum Schreiben des Billetts Platz genommen hatte, und trat besorgt auf die in ihrem Sessel lehnende Gräfin zu.
»Ist Ihnen nicht gut? Was kann ich für Sie tun? Soll Babette Ihnen eine kräftigende Hühnersuppe kochen?«, erkundigte sie sich alarmiert.
»Ich danke dir, das wird jedoch nicht nötig sein, mein Kind. Klingel besser nach dem Mädchen und lass meiner Schwiegertochter das Schreiben überbringen«, erwiderte Gräfin Dorothea matt. »Mir ist nicht mehr zu helfen. Ich kann nur noch dahinsiechen und sterben wie mein geliebtes Preußen.«
»Erlaucht, so dürfen Sie nicht sprechen!« Ihr Ausruf glich einem Entsetzensschrei. Unbewusst hatte Eleonora sogar die förmliche Anrede benutzt, die sich Gräfin Dorothea schon am Tag ihrer Ankunft im Hause Prewitz zu Kirchhagen ausdrücklich verbeten hatte.
»Warum auf einmal so förmlich, mein Kind?«, erkundigte sich die Gräfin trocken. »Noch hat mein letztes Stündchen nicht geschlagen.« Von unten warf sie Eleonora einen verschmitzten Blick zu. »Oh, ich hatte vergessen, dass wir beide den gleichen Zug zur Melodramatik haben«, fuhr sie mit getragener Stimme fort. »Weh mir! Weh uns beiden!« Mit schwacher Hand strich sie sich über die Stirn, schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Eleonora bemerkte jedoch, dass es um ihre Mundwinkel spöttisch zuckte. Erleichtert atmete sie auf. Der Sinn für Ironie und Spott war ihrer Gönnerin trotz der zunehmend prekären Lage doch noch nicht abhandengekommen. Nun öffnete sie die Augen und schaute Eleonora fragend an. »Wie war ich?«, erkundigte sie sich maliziös.
»Erlaucht haben einen leichten Hang zur Melodramatik und neigen zum Outrieren«, erwiderte Eleonora keck.
»Touché«, applaudierte die Gräfin. »Obwohl die Meisterin der Outrage nach wie vor meine Schwiegertochter ist. Wo bleibt nur Emma?«, wunderte sie sich dann. »Hast du nicht nach ihr geklingelt?«
»Ich werde den Brief selbst zu Gräfin Elisabeth bringen«, verkündete Eleonora entschlossen.
»Tu das, mein Kind, tu das!«, willigte Gräfin Dorothea ein und entließ sie mit huldvoll matter Geste. Die perfekte Verkörperung einer erschöpften, sich langweilenden Dame des »Ancien Régime«.
Vor Erleichterung beschwingt, flog Eleonora fast über die Treppen der Flure, über Gänge und durch lange Zimmerfluchten bis hinüber in den anderen Flügel des Stadtpalais, um Gräfin Elisabeth persönlich das Billett ihrer Schwiegermutter zu überbringen. Leise trällerte sie vor sich hin. Die Akustik im zweiten Treppenhaus des Seitenflügels war so gut. Am oberen Ende der Treppe tauchte unerwartet Anton auf und kam ihr entgegen. Er war in voller Kutschermontur und trug einen schweren Koffer.
»Was machst du denn hier?«, rief er mit der Vertrautheit längst vergangener Kinderjahre erstaunt.
»Ich will Gräfin Elisabeth einen Brief von Gräfin Dorothea bringen«, erklärte Eleonora und zeigte ihm den schmalen Briefumschlag.
»Da kommst du zu spät«, versetzte Anton und wuchtete den Koffer ein paar Stufen tiefer.
»Warum das denn?«, fragte Eleonora überrascht.
»Graf und Gräfin sind vor einer halben Stunde abgereist«, erklärte Anton ächzend.
»Davon war vorhin bei Tisch noch gar keine Rede«, sagte Eleonora verwundert. Solch spontane Entschlüsse und Handlungen waren dem phlegmatischen Ehepaar eher fremd.
»Konnte auch gar nicht, denn sie haben die Nachricht erst vor knapp zwei Stunden erhalten«, schnaufte Anton.
»Welche Nachricht?«, erkundigte sich Eleonora alarmiert. Anton druckste herum. Dann setzte er den Koffer ab. »Ich sollte es eigentlich niemandem sagen. Erst heute Abend wollte Jean die Nachricht überbringen, dass Graf Wilhelm überraschend einberufen wurde.«
»Und warum soll das
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