Flamme der Freiheit
Berlin mit unüberhörbarer Vernehmlichkeit verkündete. Fast jeden Tag konnte sich Gräfin Dorothea darob echauffieren, dass ihr König, Abkömmling des alten Geschlechts der Hohenzollern und Nachfahre von Friedrich des Großen, nicht den Mut hatte, Napoleon doch einmal die Stirn zu bieten.
»Und dann besitzt dieser kleine Korse auch noch die Unverschämtheit, sich offen zu seiner Bewunderung für den größten König unseres Preußens zu bekennen.«
»Bitte, bitte, Gräfin, bitte regen Sie sich nicht noch mehr auf. Sie wissen doch, es ist nicht gut für Ihr Herz und die Galle!«, versuchte Eleonora sie dann stets zu beruhigen. Es war kaum mehr zu übersehen, dass sich der Gesundheitszustand von Gräfin Dorothea unaufhaltsam verschlechterte. So musste der sommerliche Aufenthalt auf Sophienhof dieses Mal weniger aus Kostengründen als wegen ihrer Angegriffenheit ausfallen. Im Notfall war es in Berlin wesentlich einfacher, einen Arzt herbeizurufen, als in der abgelegenen Gegend der Sommerresidenz. Zudem traute Gräfin Dorothea nur den allerwenigsten Angehörigen der Medizinerzunft. Nur weil Gräfin von Voss insistierte, hatte sie tatsächlich auch einmal Dr. Hufeland, den Leibarzt der königlichen Familie, konsultiert.
»Ich gefalle ihm nicht, hat er behauptet«, erzählte Gräfin Dorothea danach in einer Mischung aus Entrüstung und Amüsement. »Als wollte ich in meinem Alter ihm noch gefallen. Er könnte mein Sohn sein.«
»Mais, belle-mère, Sie wissen doch bestimmt, wie er es gemeint hat. Sie sollten wirklich ein bisschen mehr Rücksicht auf Ihr Alter nehmen«, hatte sich ihre Schwiegertochter Elisabeth zu Wort gemeldet und war mit einem verächtlichen Lächeln abgestraft worden.
»Ma chère belle-fille, mit Ihnen nehme ich es allemal noch auf. Ich habe keine Probleme, alleine in eine Kutsche zu steigen, während Sie mindestens drei Diener für Ein- und Ausstieg benötigen, die Ihnen dabei behilflich sein müssen. Und so kurzatmig wie Sie bin ich trotz meiner Betagtheit noch lange nicht.«
Erstaunt schaute Eleonora Gräfin Dorothea an. Sie war es zwar seit Jahr und Tag gewohnt, dass diese ihre Schwiegertochter zu gerne ein bisschen triezte, aber so hart, ja, geradezu taktlos war sie sie noch niemals angegangen.
Daher reagierte Gräfin Elisabeth nicht nur beleidigt, sondern mit einem fassungslosen Tränenausbruch, der sie aus dem Salon trieb.
»Verehrte Frau Maman, das war taktlos und rücksichtslos zugleich«, rügte nun Graf Wilhelm das erste Mal seine Mutter. »Das hat meine Frau nicht verdient.« Seine ungewohnte Auflehnung trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn. Er war puterrot, als er sich nun gleichfalls erhob und vor seiner Mutter verneigte. »Ich bitte mich zu entschuldigen«, sagte er und verließ den Raum.
Schweigend starrte Gräfin Dorothea auf die hinter ihm ins Schloss gefallene Tür. Sie nagte an ihrer Unterlippe und ähnelte in diesem Moment mehr einem ratlosen jungen Mädchen als einer ehrwürdigen Gräfin über siebzig. Eleonora glaubte sogar so etwas wie Beschämung in ihren Gesichtszügen zu entdecken. Noch niemals hatte sie sie so gesehen. Hatte sie auch jemals von Graf Wilhelm erlebt, dass er offen gegen seine Mutter rebellierte und für seine Frau vorbehaltlos in die Bresche sprang? Es gab so vieles, was anders war als die Jahre zuvor. So auch die Tatsache, dass Gräfin Dorothea sich in aller Form bei ihrer Schwiegertochter entschuldigte. Schriftlich!
Und Eleonora musste diese Entschuldigung schreiben.
»Meine Finger können die Feder nicht mehr richtig halten und meine Schrift in durchgehender Linie führen«, beschwerte sich Gräfin Dorothea. »Schau dir meine Hände an.« Sie hielt Eleonora ihre zitternden Hände entgegen. Wie schon einmal, damals, als sie ihr den großen Flügel überlassen hatte, erschrak Eleonora beim Anblick dieser Hände. Die vier Finger der Rechten hatten sich mittlerweile fast krallenartig verbogen. »Ich kann sie kaum mehr öffnen und schließen. Paula muss mir schon jeden Morgen beim Überstreifen meiner Handschuhe helfen«, klagte sie. Auch ein ungewohnter Ton. Klagen kannte man von ihr eigentlich gar nicht.
Aber Gräfin Dorothea litt. Sie litt in zweifacher Hinsicht. Sowohl die rapide Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands als auch die Entwicklung der politischen Großwetterlage belasteten sie schwer. Hinzu kam heute dieser unbeherrschte Fauxpas gegenüber Gräfin Elisabeth. So eine Entgleisung hätte sie sich früher niemals
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