Flamme von Jamaika
dahin in ein Stinktier verwandelt haben würde, das selbst Edward nicht wiedererkannte, belustigte sie irgendwie.
Als sie die schweren Schritte auf dem Gang zu ihrem Gefängnis hörte, war sie beinahe erleichtert. Obwohl sie ahnen konnte, dass es ihr Rübezahl war, wie sie ihn nannte, seitdem er ihr im Wald aufgelauert hatte, setzte sie gehorsam die Augenbinde auf und tat so, als ob sie weiterhin gefesselt wäre. Sie hörte, wie er vor ihren Gittern stehen blieb und sie offenbar einen Moment still beobachtete.
«Gut geschlafen, Madame?», fragte er dann mit seinem unnachahmlich dunklen Bariton.
«Was für eine Frage», erwiderte sie mit einer gehörigen Portion Ironie in der Stimme und zog sich die Augenbinde ab.
Als sie die große Gestalt mit den geflochtenen Zöpfen durch die Gitterstäbe erblickte, stellte sich beinah so etwas wie eine kindliche Freude ein. Diese verwandelte sich jedoch schnell in ein sehr erwachsenes Begehren, als er sie unvermittelt anlächelte.
«Ich sagte nur, dass ich dich vorübergehend von den Fesseln und der Augenbinde erlösen kann», erklärte er unbeeindruckt, «nicht aber, dass ich dir ein Luxushotel biete. Hunger? Ich hab Frühstück mitgebracht.»
Obwohl er ein Wilder war, sah er wirklich umwerfend aus. Im Vergleich zum Vortag wirkte er irgendwie verändert. Offenbar hatte er zwischenzeitlich ein Bad genommen und trug nun über seiner engen Hose ein locker sitzendes, ungefärbtes Baumwollhemd, dessen Ärmel herausgetrennt worden waren. Lena blieb nichts anderes übrig, als die tief gebräunten Oberarmmuskeln ihres Geiselnehmers anzustarren.
Sie sah, wie er etwas aus einem Leinenbeutel nahm, das offenbar in Bananenblätter gehüllt war. Es war ein prall gefülltes, grünes Päckchen, das er ihr nun beinahe feierlich durch die Gitterstäbe reichte.
«Was ist das?», fragte sie misstrauisch.
«Mach’s auf, dann weißt du’s.» Immer noch grinste er.
Vorsichtig nahm sie das Päckchen entgegen und wickelte es ebenso behutsam aus. Darin verborgen lag ein großes Stück gekochtes Fleisch, vermutlich die Brust von einem Huhn oder einer Taube, und ein fester Kloß aus gekochtem Reis mit Kokosflocken, der wunderbar süßlich duftete. Ein bescheidenes Mahl, aber im Gegensatz zu dem Fraß, den ihr die Alte überbracht hatte, war es geradezu himmlisch.
Während sie sich hinsetzte und das Essen fast gierig mit den Fingern zum Mund führte, schaute ihr Gönner ihr mit zufriedener Miene beim Kauen zu. Lena fiel auf, wie schmutzig ihre Hände waren, und sie schämte sich, obwohl sie keinerlei Verantwortung dafür trug. Nachdem sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, seufzte sie wohlig auf: «Jetzt noch ein Bad, und meine Welt wäre halbwegs in Ordnung.»
«Ich könnte deinen Wunsch erfüllen», sagte er und schaute sie mit seinen schönen Augen gewinnend an.
«Heißt das, Sie wollen mir in dieser Welt des Luxus ein Kupferschaff und dazu noch heißes Wasser herbeizaubern?», fragte sie mit leicht ironischem Unterton. «… ach ja, ein Stück Seife wäre auch nicht schlecht.»
Lena bezweifelte ernsthaft, dass man in einer solchen Umgebung eine Badewanne auch nur kannte. Ihr Gegenüber wirkte leicht amüsiert.
«Und vielleicht noch eine kleine Holzente, die oben auf dem Wasser schwimmt, während du darin planschst?»
Natürlich, er hatte es nicht ernst gemeint. Er wollte sich nur über ihre unangebrachten Bedürfnisse lustig machen. Ihr Blick verfinsterte sich. «Ich finde es nicht nett, wenn Sie sich über das Leid anderer Menschen amüsieren.»
«Ich meinte es durchaus ernst», erwiderte er mit treuer Miene. «Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du nicht auf dumme Gedanken kommst, wenn ich mit dir aus dieser Höhle hinausgehe. Und wenn du, solange ich es sage, die Augenbinde trägst.»
Sein bernsteinfarbener Blick glänzte wie das Licht der Fackel, die er mitgebracht hatte.
«Alles, ich mache alles so, wie Sie es wollen, wenn es mir nur hilft, diesen ganzen Dreck loszuwerden.»
Wenig später hatte Jess seiner zierlichen Gefangenen einen langen Strick um die Taille gebunden. Als sie aus der Höhle hinaustraten, übermannte ihn ein Gefühl der Lächerlichkeit, dass er eine weiße Frau wie einen Hund an die Leine nahm und diese nichts dagegen hatte. Aber sie schien verstanden zu haben, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb. Er hatte ihr ausführlich erklärt, dass auch er unter Beobachtung stand und dass sie sich keinen Fehler leisten durften, weil ansonsten ihr
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