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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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geerbt hatte, der nach Selinas Angaben ein walisischer Aufseher gewesen war. Als dieser jedoch begann, sich für seine eigene, minderjährige Tochter zu interessieren, war sie bei Nacht und Nebel davongelaufen und hatte bei Kojos Fluchthelfern Hilfe gesucht – und gefunden.
    Der Gedanke, dass eines ihrer Kinder in die Hände der weißen Söldner fallen könnte, versetzte Selina berechtigterweise in Panik. Als entlaufene Sklavin hatte das Mädchen nicht nur mit einer harten, körperlichen Strafe zu rechnen, man würde sie so lange foltern, bis sie das Versteck ihrer Mutter und Schwestern verriet.
    Den Waschteich des Lagers hatte Jess längst hinter sich gelassen, als er plötzlich ein heiseres Keuchen vernahm. Geduckt durchstreifte er das hohe Gras zwischen zwei Baumgruppen. Und dann sah er sie. Cilia lag in ihrem abgetragenen, hellblauen Kittel bäuchlings im Gras, während vom Waldrand Colonel Browns Männer in ihre Richtung stapften.
    Sie waren schon ziemlich nah an dem Mädchen dran, als sie in Panik aufsprang und in die entgegengesetzte Richtung rannte. Jedoch nicht dorthin, wo Jess hinter einem Gebüsch verharrte und sie hätte schützend in Empfang nehmen können, sondern quer zu den Weißen auf eine Anhöhe zu, wo sie niemals eine Chance haben würde zu entkommen. Dort bot sie für die Soldaten die perfekte Zielscheibe.
    Browns Leute zückten sofort ihre vorgeladenen Gewehre. Schüsse peitschen durch die Luft und verfehlten das Mädchen nur knapp. Jess war nah dran, ‹Runter!› zu brüllen, aber dann hätte er die Verfolger auch auf sich aufmerksam gemacht.
    «Haltet drauf», schrie der Colonel seinen Leuten zu, und Jess hörte, wie sie luden und den Hahn spannten.
    Cilia hatte sich in die Büsche gerettet, aber ihre Verfolger näherten sich bereits wie ein Rudel Wölfe, das die Fährte eines Lamms aufgenommen hatte. Sie würden Cilia ohne Gnade abknallen wie eine räudige Hündin. Jess hatte längst das Blasrohr aus seiner Tasche gerissen und fixierte über das Blattwerk hinausschauend sein erstes Opfer. Er musste möglichst genau zielen, um mit einem einzigen Pfeil die empfindliche Halsregion des Mannes zu treffen. Aufgrund der feuchtwarmen Luft und der Anstrengung hatten sich die Männer zumeist ihrer Halstücher entledigt und den Kragen gelockert, was Jess’ Absichten sehr entgegenkam.
    Souverän füllte er seine Lungen mit einem einzigen Atemzug. Danach richtete er sich auf und presste die gesamte Luft durch das schlanke Röhrchen, mit dem Ergebnis, dass sein erster Schuss einen rothaarigen, blassen Kerl im Nacken traf. Dieser zuckte unwillkürlich zusammen, als das winzige Geschoss in seine weiche Haut eindrang. Ohne nachzudenken, klatschte er mit der flachen Hand auf jene Stelle, wo der Pfeil eingedrungen war, als ob er einen Moskito erledigen wollte. Das bewirkte, dass der künstliche Stachel nur noch tiefer in seine Haut drang.
    Von dort aus durchsetzte die unselige Mischung aus Manaka und Aconitum das Blut des Opfers. Wie ein unruhiger Kreisel begann der Soldat zu torkeln. Seine Begleiter bemerkten, dass mit ihrem Kameraden etwas nicht stimmte, und ließen von Cilia ab. Längst hatte Jess den zweiten Pfeil abgeschossen. Und jetzt war er auch nicht mehr allein. Von allen Seiten her hagelte es Pfeile, und nach und nach fielen die weißen Männer wie gefällte Baumstämme zu Boden: zuckend, krächzend, schreiend und röchelnd. Niemand von ihnen war in der Lage, normal zu reagieren. Sie zappelten in wilden Krämpfen wie an Land geworfene Fische.
    Plötzlich war Nathan an Jess’ Seite.
    «Sind das alle?», fragte er. «Oder waren da noch mehr unterwegs?»
    «Einer fehlt», antwortete Jess alarmiert und rannte in Richtung Cilia direkt in die Büsche hinein.
    Durch die Sträucher sah er, wie ein junger Soldat mit einem geladenen Gewehr dem Mädchen folgte. Anscheinend hatte er noch nicht bemerkt, was mit seinen Kameraden geschehen war, ebenso wenig, dass Jess ihn verfolgte. Cilia rannte in Panik den Berg hinauf, und Jess sah deutlich, wie sie an Kraft verlor. Auch der Soldat hatte dies erkannt und versuchte diese Chance zu nutzen.
    «Wenn du stehen bleibst, werde ich dir nichts tun.»
    Selinas Tochter machte schwer japsend halt, eine Hand in die offenbar stechende Seite gestemmt. Als sie sich zu ihrem Verfolger umdrehte, sah sie Jess, der dicht hinter ihm war.
    «Jess!», schrie sie unüberlegt und warnte damit den Soldaten.
    Ein Schuss fiel, und für einen Moment dachte Jess, er wäre getroffen. Doch

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