Flamme von Jamaika
und was sonst noch auf Redfield Hall an bezahltem Personal beschäftigt war, auf den Mund. Frenetischer Beifall brandete unter den Anwesenden auf und mischte sich mit Hochrufen auf das prominente Paar. Es war, als ob sie ein zweites Mal zur Vermählung schritten, und vielleicht war die Begeisterung sogar noch ein bisschen größer als bei der vorherigen Zeremonie. Weil Lena zu keiner anderen Reaktion fähig war, als die Mundwinkel nach oben zu ziehen, musste es so aussehen, als ob sie sich über Edwards Kuss freute. Noch einmal erschollen Hochrufe auf ihre heldenhafte Rückkehr in den Kreis der Familie.
Voller Entsetzen starrte Lena in das geradezu versteinerte Gesicht von Jess, der aus der Menge der jubelnden Sklaven herausragte wie ein Leuchtturm inmitten der Nacht. Dazu sein erstarrter, glasklarer Blick, der von tiefer Enttäuschung und vielleicht sogar von Hass gekennzeichnet war und ihren vermeintlichen Verrat aufs schärfste verurteilte.
Jess überkam das Gefühl, als hätte sie ihm einen Dolch ins Herz gerammt. Machtlos musste er zusehen, wie sich Lena bereitwillig von Edward küssen ließ. Und als ob das noch nicht genug der Schmach gewesen wäre, lachte sie ihm – Jess – auch noch dreist ins Gesicht. Das reichte völlig aus, um ihm sämtliche Hoffnungen zu nehmen, dass sie andere Gründe gehabt hatte, nicht an ihrem vereinbarten Treffpunkt zu erscheinen. Schließlich hatte ihn ihr Blick nicht nur gestreift, sie hatte ihm direkt in die Augen geschaut und ihn zweifelsfrei erkannt.
So wie sich die Dinge zu entwickeln schienen, konnte er noch froh sein, dass sie Edward und seinen vermaledeiten Vater nicht auf ihn aufmerksam gemacht und ihn als ihren Entführer gebrandmarkt hatte. Was wohl eher zeigte, dass sie tatsächlich Mitleid mit ihm hatte. Was für ein hirnvernagelter Idiot war er doch gewesen, als er vor Nathan und seiner Mutter für sie Partei ergriffen und sie als weißen Engel dargestellt hatte. Und wenn er ehrlich war, hatte er nicht nur Baba wegen dieser Frau in Gefahr gebracht. Auch den Freiheitskampf hätte er beinahe für sie aufgegeben. Blieb nur zu hoffen, dass sie sich wenigstens an ihr Versprechen hielt, das Lager und seine Insassen nicht zu verraten. Sie wusste so gut wie alles über ihn, und es war klar, dass das Militär sie über ihr Verschwinden befragen würde. Wenn sie es nicht schon getan hatten.
Und Edward? Wenn er seine wiedergefundene Ehefrau vor allen Leuten so liebevoll behandelte, konnte das nur bedeuten, dass er für seine Untreue, die unter anderem zu Lenas Flucht geführt hatte, tiefste Reue empfand. Wobei es ja noch andere Aspekte gab, warum Lena nicht mehr zu ihm hatte zurückkehren wollen. Vielleicht hatte er ihr versprochen, ein paar Sklaven vor dem Erschöpfungstod zu bewahren. Vielleicht glaubte sie ihm, dass er bereit war, für sie Veränderungen einzuleiten, auch wenn sie für die Sklaven kaum spürbar wären – aber zumindest würden sie das Gewissen einer kleinen, schockierten Lady beruhigen. Sie war so leicht zu begeistern. Möglicherweise empfand sie es sogar als Triumph, wenn sie ihn zum Umdenken brachte.
Wahrscheinlich war ihr nach ihrer Rückkehr trotz aller Beteuerungen schnell klargeworden, dass Sir Edward Blake ihr weit mehr bieten konnte als ein räudiger Rebell, der in einer schmutzigen Höhle hauste.
Ohnmächtig vor Wut, musste Jess zusehen, wie sie aufgetakelt wie eine englische Adlige an Edwards Arm geklammert in der Kirche verschwand. Es folgte die gesamte arrogante, weiße Entourage, deren Mitglieder nicht gewillt waren, das Haus Gottes mit ihren Sklaven zu teilen.
Kapitel 26
Anfang Oktober 1831 // Jamaika // Brennendes Land
D ie Tage vergingen, und Lena gab es auf, sich allzu große Hoffnungen zu machen, was ihren elenden Zustand betraf. Der einzige Mensch, mit dem sie in einer archaischen Form der Zeichensprache kommunizierte, war Estrelle. Die erste Haussklavin gab sich redliche Mühe, sie mit Rindfleischsuppe und Bananen, die sie mit steif geschlagener Sahne pürierte, aufzupäppeln. Lena nahm jegliche Nahrung nur in Spatzenmenge zu sich, was für Estrelle zum Problem werden konnte. Edward hatte sie ganz allein dafür verantwortlich gemacht, dass seine Frau an Gewicht zunahm. Falls ihr dies nicht gelang, würde er sie mit Sicherheit hart bestrafen.
Der Doktor hatte Estrelle außerdem empfohlen, Lena so viel wie möglich herumzuführen. Sie müsse sich bewegen, damit ihre Koordinationsfähigkeit und der Wille zum Leben
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