Flamme von Jamaika
sprach und höchstwahrscheinlich Anglikaner oder Protestant war. Für Baptisten hatte er sicher nichts übrig.
Jess straffte sich und atmete tief durch, während er aus dem Sattel glitt. Kaum stand er in seinen geschnürten und extra sauber geputzten Schuhen vor dem Soldaten, versuchte er, sich möglichst geduckt hinzustellen, und vermied es, dem viel kleineren Mann in die Augen zu sehen. Weiße verlangten von Negern und Mischlingen unterwürfiges Verhalten, ganz gleich, ob sie Sklaven oder Freie waren.
Gott sei Dank sehe ich in diesem Aufzug einigermaßen ordentlich aus, dachte Jess und nahm demonstrativ seine Bibel zur Hand, damit erst gar kein Zweifel über seine friedliche Gesinnung aufkam. Trotzdem stieg seine innere Anspannung, als der Soldat seine Papiere forderte. In seiner Phantasie ging er durch, was er tun würde, wenn der Mann ihm Schwierigkeiten bereitete. Um möglichst kooperativ zu erscheinen, hatte Jess die Dokumente fein säuberlich zwischen die Seiten der Bibel gelegt und überreichte sie an den jungen Sergeant.
«Woher kommst du?», blaffte der Soldat ihn an.
«Von überall und nirgends», antwortete Jess, und merkte noch im selben Augenblick, dass die Antwort ein Fehler gewesen war.
Die eng zusammenstehenden Augen des Mannes verwandelten sich in schmale Schlitze, was ihm zusammen mit dem vorstehenden Kinn das Aussehen eines Kampfhundes verlieh. Fehlte nur noch, dass er die Zähne fletschte.
«Entweder du sagst mir jetzt, wo du hingehörst, oder ich muss dich in Ketten legen und nach Spanish Town zum Verhör mitnehmen.»
«Ich bin ein freier Baptistenpriester», erwiderte Jess betont leise, um den Anschein eines sanftmütigen Mannes wiederzuerlangen. «Ich bin im gesamten Land unterwegs, um das Wort Gottes zu predigen. Dabei wohne ich mal hier und mal da. Je nachdem, wer mir seine Gastfreundschaft gewährt. Wie Jesus auf der Wanderschaft.»
«Lionel, komm mal her», rief sein Kontrolleur einem dürren, hochgeschossenen Kameraden zu, der sich ungefähr zehn Schritte entfernt mit einem weißen Händler beschäftigte, der mit einem Leiterwagen voller Sklaven unterwegs war.
«Schon wieder so ein Heiliger, der behauptet, nirgendwohin zu gehören!»
Aha, dachte Jess, Nathan oder Joel hatten diese Stelle aller Wahrscheinlichkeit nach bereits vor ihm passiert.
«Kann er sich als freier Mann legitimieren?», rief der andere umgehend zurück und schaute dabei in ihre Richtung.
«Wenn man den Papieren Glauben schenken will, wurde er vor einem Jahr in die Freiheit entlassen und ist in Spanish Town entsprechend registriert!»
«Wer hat unterschrieben?»
«Sir Randolph Patterson, erster Sekretär des Gouverneurs.»
«Dann lass ihn ziehen. Die Leute, die wir suchen, haben keine Urkunden oder Tickets bei sich. Und schon gar kein Gebetbuch!»
«Noch mal Glück gehabt, du Sohn einer Hundefotze», raunte ihm der Soldat entgegen und rückte zögernd Jess’ Papiere heraus.
Jess ließ sich nicht anmerken, dass er dem Kerl am liebsten das Maul poliert hätte. Besonnen verstaute er alles ordnungsgemäß in seiner Bibel und saß auf seinem Muli auf.
«Der Herr sei mit Ihnen, Sir», verabschiedete er sich unterwürfig lächelnd und trat seinem tierischen Gefährten härter als nötig in die Seiten, damit er so schnell wie möglich mit ihm davontrabte.
Erst als er die Soldaten hinter sich gelassen hatte, bemerkte Jess, dass seine Hände zitterten. Ihm wurde bewusst, wie viel Glück er gehabt hatte, dass ihn niemand komplett durchsucht hatte. Nicht auszudenken, wenn man Lenas Schmuck bei ihm gefunden hätte! Oder Desdemonas Glasphiole! Wie um sich selbst zu beruhigen, dass alles gut gegangen war, betastete Jess das Fläschchen in seiner Jackentasche.
Kurz darauf überholte er den Leiterwagen mit den Sklaven, der vor ihm die Kontrolle passiert hatte. Im Vorbeireiten sah er die dicken Fußketten, die seine apathisch dreinblickenden Brüder um die Knöchel trugen. Wahrscheinlich waren sie eine vorübergehende Leihgabe, die für gutes Geld von einer Plantage zur nächsten gereicht wurde. Am liebsten hätte er die Männer aus ihrem Elend befreit und ihnen zugerufen, dass sie sich dem Widerstand anschließen sollten, bevor sie in Agonie versanken. Doch dann hätte er den Weißen töten müssen, und es war nicht sicher, ob die Schwarzen nachher zu seinen Gunsten das Maul gehalten hätten. Also begnügte er sich damit, ihnen aufmunternd zuzulächeln.
«Der Herr gebe euch Zuversicht», rief er. «Das Himmelreich
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