Flamme von Jamaika
ist nicht mehr fern!»
Die Männer antworteten nicht, sondern glotzten nur stoisch. Stattdessen wandte sich der weiße Kutscher zu ihm um und musterte ihn hasserfüllt.
«Kerle wie du sind daran schuld, dass unsere Sklaven den Verstand verlieren», zischte er und funkelte ihn böse an. «Ihr hetzt sie auf, indem ihr behauptet, in London wäre die Sklaverei abgeschafft worden. Ihr macht unser ganzes Land kaputt, wenn nicht bald einer kommt und euch das Maul stopft, damit ihr aufhört, einen solchen Unsinn zu predigen!»
«Das ist kein Unsinn», erwiderte Jess im Brustton der Überzeugung. Dann gab er seinem Muli zu verstehen, dass es antraben sollte. «Der Herr soll mein Zeuge sein, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er schwarze und weiße Schafe zusammen auf die grünen Auen führen wird.» Wobei die Weißen womöglich schon bald vertrieben sein werden, dachte er, sagte es aber nicht.
«Wo willst du hin?»
Selina schaute Baba irritiert an. Unbemerkt hatte sie Babas Höhlenbehausung betreten und sie beim Packen erwischt.
Auf dem unordentlichen Strohlager vor ihr blähte sich ein abgewetzter Lederbeutel auf, den sie an einem Riemen quer über die Brust tragen konnte. Rasch versteckte Baba die Pistole in einem Konglomerat aus Kleidung und anderen Habseligkeiten. Dazu steckte sie, in ein Bananenblatt eingewickelt, Pulver und Blei, das sie von José ergattert hatte. Ihr alter Gefährte aus frühen Zeiten bei den Maroon bewachte das Waffenlager. Ab und an machte er ihr schöne Augen, wenn sie an ihm vorbeilief. Sie hatte ihm einen kleinen Freundschaftsdienst geleistet, indem sie ihm in der Abgeschiedenheit seiner Höhle manchmal ein wenig Erleichterung verschafft hatte. Und er hatte sich revanchiert. Außer der Schusswaffe verstaute sie auch noch ein langes Pflanzermesser tief zwischen ihren Kleidern, das sie extra geschärft hatte.
«Ich muss Jess folgen», erklärte sie tonlos und stopfte noch einen Umhang und ihren alten, blauen Arbeitskittel in die Tasche. Beides würde sie später noch benötigen. «Er ist ganz alleine nach Redfield Hall unterwegs, um diese weiße Schlange aus ihrem Nest zu holen. Er wird dabei sterben, wenn ich nichts unternehme.»
«Weiße Schlange?» Selina warf ihr einen verständnislosen Blick zu.
«Na, diese weiße Hure, die ihm den Kopf verdreht hat, bevor sie im Austausch mit den drei jungen Gefangenen zu ihrem feinen Ehemann zurückkehren durfte. Wenn du mich fragst, ich hätte sie umgebracht, aber mein Sohn hat ein zu gutes Herz. Er hat sie die ganze Zeit über nicht aufgegeben, obwohl ich mein Bestes getan habe, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen.»
«Dein Bestes getan?» Selina hob eine Braue und stemmte die Hände in ihre ansehnlichen Hüften. «Was willst du damit sagen?»
«Na ja.» Baba räusperte sich und betrachtete nachdenklich ihre nackten Zehen. «Ich hab eben ein bisschen nachgeholfen, damit sich ihre Wege nicht mehr kreuzen.»
«Nachgeholfen?» Selinas Blick nahm eine misstrauische Note an. «Du hast doch nichts getan, was unrecht gewesen wäre, oder?»
«Nein. Ich habe es auf unsere Weise erledigt. Desdemona hat für mich einen sehr wirksamen Zauber ausgesprochen.»
«Einen Zauber?» Selina gab sich keine Mühe, ihr Entsetzen zu verbergen. «Aber sich eines Zaubers zu bedienen, heißt, ein Opfer zu bringen. Wie stark war der Zauber?»
«Sehr stark.» Baba stieß einen resignierten Seufzer aus. «Er hat der weißen Frau den Willen gebrochen und sie zu einer lebenden Toten gemacht. Seit der Zauber seine Wirkung entfaltet hat, kann sie nicht mehr sprechen und bewegt sich nur noch auf Anweisung.»
Selina gab einen lang gezogenen Laut des Entsetzens von sich und schlug die Hände vor den Mund.
«Und welches Opfer musstest du dafür bringen?», wisperte sie ängstlich.
«Desdemona sagte mir, dass die Ahnen dafür ein Menschenleben fordern könnten. Und nun fürchte ich, dass sie Jess haben wollen. Denn nachdem Desdemona so dumm war, ihm das Gegenmittel zu überlassen, ist er regelrecht davongestoben, um diese weiße Hure von dem Fluch zu erlösen.» Baba schnaubte verdrossen und sah sich um, ob sie auch nichts vergessen hatte. «Deshalb muss ich sofort aufbrechen, um ihn zu retten.»
«Was hast du vor?» Selinas Stimme bebte. «Man wird dich nicht einfach von hier fortgehen lassen. Du weißt doch, dass wir Frauen das Lager nicht ohne Erlaubnis verlassen dürfen. Und du erst recht nicht mehr!»
«Die meisten Krieger sind unten im Tal, und diejenigen, die
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