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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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übrig, als ihrer Leibsklavin zu gehorchen. Es war wie verhext. Wenn ihr jemand Befehle erteilte, war sie nicht fähig, sich zu widersetzen. Wäre es anders gewesen, hätte sie Estrelle längst einen Vortrag gehalten, wie enttäuscht sie über ihre bisherige Geheimnistuerei war. Denn so wie es sich darstellte, hatte die alte Sklavin von Anfang an geahnt, wer hinter dem Angriff auf ihrer Hochzeit gesteckt hatte. Sie hatte Jess’ Mutter erkannt. Und so wie es aussah, ahnte sie auch, was hinter ihrer merkwürdigen Krankheit steckte.
    Aber wie hätte Estrelle an sie herantreten sollen, beschwichtigte Lena ihren Groll, als sie gründlicher nachdachte. Realistisch betrachtet, hätte sie sich mit verdächtig gemacht und nicht nur ihre Anstellung im Haus, sondern auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Lena beschloss, Estrelle zu verzeihen, als sie ihr dabei zusah, wie sie vor ihr kniete, um ihr in die Strümpfe zu helfen. Die alte Frau hatte sich rührend um sie gekümmert. Zumal sie auf Jess’ Seite zu stehen schien.
    Plötzlich stieß die Sklavin einen Schrei aus, als sich ein großer, dunkler Schatten von der Wand hinter ihr löste und die hereinströmende Nachmittagssonne durchbrach.
    «Mach die Tür zu und verriegle sie!», befahl eine bekannte Stimme, die Lena für einen Moment den Atem stocken ließ.
    Jess! Als sich ihr Verdacht bestätigte, fragte sie sich, wie es ihm gelungen war, völlig unbemerkt hier hereinzukommen. Wobei sie sich denken konnte, dass er wie schon zuvor durch das Fenster geklettert war. Jedoch im Gegensatz zu seinem letzten Besuch war es nun taghell, und die gesamte Plantage befand sich in Aufruhr. Estrelle war sichtlich eingeschüchtert von seinem kompromisslosen Auftritt. Sofort war sie aufgesprungen und gehorchte. Jess hingegen schien vollkommen ruhig zu sein und bewegte sich souverän auf Lena zu, als hätte er nicht den geringsten Zweifel daran, das Richtige zu tun.
    Sie selbst saß immer noch auf dem Bett, und als er vor ihr stand und sich zu ihr hinabbeugte, um sie zu küssen, wollte sie es beinahe nicht glauben. Erst als sie seine weichen Lippen spürte, die Zärtlichkeit, mit der sie die ihren berührten, wusste sie, dass dies kein Traum war. Er trug wieder das Gewand des Priesters, das kaum darüber hinwegtäuschen konnte, dass er beileibe kein Heiliger war. Von irgendwoher war Estrelles verlegenes Hüsteln zu hören und erinnerte Jess offenbar an sein eigentliches Anliegen.
    «Ich verfluche mich, dass ich dich so habe leiden lassen», flüsterte er und setzte sich neben sie, um etwas aus seiner Jackentasche hervorzukramen.
    Lena fixierte derweil ungewollt die verschlossene Tür. Inbrünstig hoffte sie, dass Edward nicht auf die Idee kam, zu ihnen zurückzukehren, weil er vielleicht etwas vergessen hatte. Gott würde es hoffentlich nie so weit kommen lassen, dass die beiden Halbbrüder aufeinandertrafen. Sie waren wie Kain und Abel, dachte sie bitter.
    «Jess, was hast du vor?» Estrelle schien ähnliche Befürchtungen zu hegen wie Lena. «Ihr Mann kann jederzeit zurückkehren. Er ist gerade erst fort.»
    «Der ist eine Weile beschäftigt», knurrte Jess und schaute kurz auf.
    Er zwinkerte Lena zu, als ob er über den Grund von Edwards Verschwinden bestens im Bilde wäre. Als er seine Vorbereitungen mit dem Fläschchen abgeschlossen hatte, stand er auf und drückte Lena kurzerhand aufs Bett. Sanft hob er ihre Beine an, um sie so bequem wie möglich hinzulegen. Er musste ihren innerlichen Protest gespürt haben, denn er sah sie an und hob wie ein Schulmeister den Zeigefinger.
    «Schön liegen bleiben», sagte er und schob ihr noch ein weiteres Kissen unter den Kopf.
    Dabei schien er vollkommen vergessen zu haben, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als seinen Anweisungen zu folgen.
    «Gib acht», sagte er schließlich und zückte das kleine Glasfläschchen mit der gelblichen Flüssigkeit.
    Er hielt es ihr vor die Nase und schaute ihr tief in die Augen. Ganz so, als ob er sie beschwören wollte.
    «Ich will, dass du das bis auf den letzten Tropfen trinkst. Vertrau mir», erklärte er feierlich. «Es wird dir helfen, wieder so zu werden, wie du warst.»
    «Ist die Medizin von Desdemona?»
    Estrelle war an Lenas Bett getreten und runzelte die Stirn.
    «Ja», sagte Jess nur, konzentriert darauf, nichts zu verschütten.
    Einen Moment lang wurde Lena von der Befürchtung beherrscht, dass dieser sogenannte Zaubertrunk womöglich nicht half, sondern alles nur noch viel schlimmer machen könnte.

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