Flamme von Jamaika
Immer noch glaubte er, schlecht zu träumen. Um Haaresbreite hätte er Baba erwürgt und die alte Desdemona dazu! Aber wie hatten die beiden ihm so etwas nur antun können? Ihn so zu hintergehen! Und das über Monate!
Wie sehr hatte er sich den Kopf zerbrochen, warum Lena in scheinbarer Selbstverständlichkeit zu Edward Blake zurückgekehrt war! Beinahe wäre er an der Trauer über ihr Verhalten zerbrochen. Doch Baba hatte so getan, als ob nichts anderes von Lena zu erwarten gewesen wäre. Schlimmer noch, sie hatte ihre Intrige damit gekrönt, dass sie ihm stattdessen Selina wie einen besonderen Leckerbissen darbot. Rücksichtslos verfolgte sie ihre Interessen. Aber dass sie dafür so weit ging, ihren eigenen Sohn zu betrügen, hätte er niemals vermutet. So schockiert er auch war, darüber wollte er im Augenblick nicht länger nachdenken. Er war verpflichtet wiedergutzumachen, was seine Mutter angerichtet hatte. Doch bevor er sich wieder ins Tal aufmachte, hatte er noch etwas anderes zu tun. Am Rande des Lagers war noch immer Lenas Schmuck vergraben. Nun war der Zeitpunkt gekommen, ihn ihr zurückzugeben.
Im Halbdunkel grub er unter einem Feigenbaum und holte den kleinen Lederbeutel, in den er den Schmuck nach seiner enttäuschten Rückkehr gesteckt hatte, mit bloßen Händen aus der Erde. Dann machte er sich auf den Weg ins Tal. Auf halber Strecke, mitten im Wald, wurde er hellhörig, als er ein paar untypische Geräusche vernahm. Rascheln, leise Worte und das Stampfen von Hufen. Er schärfte seine Sinne und erkannte, dass es seine eigenen Leute waren. Nathan und Joel, die wie Jess den schwarzen Anzug eines Baptisten trugen. Cato hatte sie entsandt, damit sie den angeworbenen Rebellen am nächsten Tag die Waffendepots zugänglich machten, die sie überall im Land verteilt angelegt hatten. Als Jess aus seinem Versteck hervortrat, zogen sie unverzüglich ihre Macheten.
«Verdammt, Bruder, was tust du hier?», fragte ihn Nathan aufgebracht. «Du solltest längst in St. James sein und den Widerstand organisieren. Hast du uns nicht befohlen, dass wir uns morgen früh in Brownsville treffen?»
«Vorher muss ich noch etwas anderes erledigen», knurrte Jess düster.
«Dürfen wir erfahren, was?» Nathan warf Jess einen misstrauischen Blick zu. «Ich meine, wenn du dich schon nicht an deine eigenen Anweisungen hältst, wäre es gut, wenn du uns wenigstens über die Planänderung informieren würdest.»
Jess überlegte einen Moment, ob er Nathan die Wahrheit sagen sollte. Ihre Freundschaft hatte in den vergangenen Wochen und Monaten unter seiner Zuneigung für Lena sichtlich gelitten. Nathan hasste die Weißen, was ihm nicht zu verdenken war. Weiße Pflanzer hatten seine Eltern auf dem Gewissen, und ihn selbst hatten sie von Kindesbeinen an so hart schuften lassen, dass er beinahe daran gestorben wäre.
«Es hat mit Lena zu tun», sagte er, gefasst darauf, dass Nathan ihm eine saftige Standpauke hielt.
«Ich denke, sie ist zu ihrem Sklavenschinder zurückgekehrt», bemerkte Nathan ungewöhnlich neutral. «Also, was hast du noch mit ihr zu schaffen?»
«Desdemona hat sie vergiftet, und meine Mutter hat ihr den Auftrag dazu erteilt. Das hat eine lebende Tote aus ihr gemacht. Ich habe es nicht bemerkt, weil die Wirkung erst eingesetzt hat, nachdem ich sie aus meiner Obhut entlassen habe.»
«Warum sollte deine Mutter so etwas tun?», entfuhr es Joel, der die ganze Zeit angespannt zugehört hatte.
«Weil Jess ein liebeskranker Tölpel ist, der sich in seine weiße Geisel verguckt hat», fuhr ihm Nathan ins Wort. «Und seine schlaue Baba erkannt hat, dass er sich sehenden Auges ins Unglück stürzt.»
«Abgesehen davon, dass du Schwachsinn redest, rechtfertigt es nicht, dass man einen unschuldigen Menschen in einen lebenden Zombie verwandelt hat!» Jess bebte vor Zorn.
«Na ja», spöttelte Nathan. «So ganz unschuldig wird sie nicht mehr gewesen sein. Außerdem scheinst du in der Zeit, in der du ihren Gefängniswärter gespielt hast, vergessen zu haben, dass sie eine Weiße ist.»
«Das habe ich nicht. Aber sie ist anders als die meisten Weißen. Kojo hatte recht mit seinem Verdacht», gestand Jess tonlos, während sie nebeneinander durch den Dschungel ritten. «Als wir sie damals gefunden haben, war sie auf dem besten Weg, den Klauen von Edward Blake zu entfliehen.»
«Na, wenn das keine Neuigkeiten sind», erwiderte Nathan sichtlich beeindruckt.
«Ich habe es euch nicht gesagt, weil ich die Sorge hegte, dass
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