Flamme von Jamaika
weitere Blessuren hinzukommen.
Trotz dieser beunruhigenden Aussichten empfand Jess tief in seinem Innern eine merkwürdige Gleichgültigkeit. Er hatte oft von Leuten gehört, die dem Tod ins Auge geblickt hatten. Kurz vor ihrem Ende waren sie in jeder Hinsicht gefühllos geworden. Boltons Schergen würden ihn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln foltern, und es war klar, dass Jess ihnen trotzdem nicht das Geringste verraten durfte. Dafür hatte er vor Cato und seinen Männern – und damit nicht zuletzt auch vor sich selbst – einen heiligen Eid geschworen, der Blut mit Ehre verband. Die stärkste Verbindung, die es für einen respektablen Krieger gab.
Nur wenn er an Lena dachte, ging es mit seiner Gleichgültigkeit bergab. Wie hatte er sich nur in dieser beschissenen Kaschemme in Sicherheit wiegen können? Dabei hatte er diesen Ort gerade deswegen ausgesucht – im sicheren Glauben daran, dass niemand auf die Idee kommen würde, eine reiche Pflanzersgattin ausgerechnet in einem Hurenhaus zu suchen.
Edward Blake war ein Fuchs, wie sein Vater. Offenbar war es ihm gelungen, den Brand auf der Plantage einzudämmen. Als er festgestellt hatte, dass seine Frau verschwunden war, musste er sämtliche Hausangestellte, inklusive seiner Stalldiener, in die Mangel genommen haben, um herauszufinden, was mit ihr geschehen war. Jess war beunruhigt. Ausgerechnet in Port Maria hatte Edward nach Lena suchen lassen. Wahrscheinlich in der Annahme, dass sie zu fliehen gedachte. Unwillkürlich musste er auf den nächstliegenden Hafen gekommen sein. Blieb zu hoffen, dass Lena auch ohne seine Hilfe die Flucht gelang, bevor Edward ihr endgültig auf die Schliche kam.
Als der Gefängniswagen nach stundenlanger Fahrt im Schatten der Gefängnismauern von Spanish Town anhielt, war Jess froh, endlich der tief stehenden Nachmittagssonne zu entkommen. Seine Zunge klebte aufgequollen am Gaumen, doch auch jetzt erbarmte sich niemand. Gleich fünf Soldaten zerrten ihn auf Anweisung des Commodore aus dem Wagen und stießen ihn in einen langen, überdachten Gang, der zu den Einzelzellen der Schwerverbrecher führte.
«Bevor ihr ihn einlocht, schert ihm den Kopf», befahl Bolton seinen Schergen in missmutigem Ton.
Eine Geste der Demütigung. Nichts sonst, dachte Jess und ließ es klaglos über sich ergehen, dass man ihn in eine feuchte Zelle stieß, dort auf die Knie zwang und ihm den Kopf rasierte wie einem Schaf den Pelz. Locke für Locke fiel sein braunes Haar lautlos zu Boden. Nackt und in Ketten ließen die Männer ihn schließlich alleine zurück und verschlossen die Zellentür mit einem dicken Schlüssel. Er musste an Lena denken, wie sie sich wohl gefühlt hatte, als sie in ihrem Höhlenkerker im Lager zu sich gekommen war.
Dies ist die gerechte Strafe für meine Sünden, befand Jess resigniert.
Wenn er Lena in Ruhe gelassen hätte, wäre sie längst über alle Berge in Deutschland, ihre Gesellschafterin würde noch leben, und sie selbst wäre nicht schwanger. Nun war sie erneut Edwards Willkür ausgesetzt, und er – Jess – trug an allem die Schuld. Blieb zu hoffen, dass sie so schlau war, ihre Genesung vor ihrem Ehemann nicht zu offenbaren. Denn dann würde sie in ernster Gefahr sein, weil Edward unmöglich dulden konnte, dass sie ihm etwas vorgespielt hatte.
Jess sah noch eine winzige Chance, dass sie ihm trotzdem entkommen konnte. Wenn Cato und seine Kameraden am nächsten Tag zum Angriff übergingen, würde Edward zu beschäftigt sein, um auf seine Frau aufpassen zu können.
«Lieber Gott», betete er stumm, «schicke Lena einen Engel, der sie an meiner Stelle vor diesem Scheusal beschützt.»
Edward führte Lena mit eiserner Hand nach oben in ihr Zimmer. Unterwegs schrie er nach Estrelle und befahl ihr barsch, seine Frau zu baden und ihr frische Kleidung anzulegen. Das Ganze durfte nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Dann würde er zurückkommen und sie sich vorknöpfen.
«Und wenn du noch mal auf die Idee kommst wegzulaufen», raunte er Lena zu, «werde ich es Estrelle und die anderen Sklaven bitter spüren lassen.»
Lena zitterte am ganzen Leib, als Estrelle sie aus den Decken wickelte, die man ihr hastig übergeworfen hatte. Larcy wurde in Windeseile damit beauftragt, heißes Wasser herbeizuschaffen, um die Kupferwanne hinter dem Paravent zu füllen. Als das Mädchen nach draußen gehuscht war, fasste Estrelle Lena am Arm.
«Hören Sie, Mylady», erklärte sie aufgeregt. «Ich habe Sie nicht verraten, das
Weitere Kostenlose Bücher