Flamme von Jamaika
befreiten.
Stockend setzte sich die Kutsche in Bewegung. Ein wenig später hielt sie noch mal kurz an. Der blaue Samtvorhang, der das offene Fenster verhüllte, wurde zur Seite geschoben, und das Gesicht von Commodore Bolton tauchte im Rahmen auf. Lena hatte ihn erst einmal zuvor gesehen, als er sie nach ihrer Entführung auf Redfield Hall verhören wollte. Damals hatte Edward ihn abgewiesen, mit dem Hinweis, dass sie krank und nicht ansprechbar sei. Auch jetzt schien Edward daran interessiert zu sein, dass sie vor dem Commodore nichts ausplauderte, was er nicht vorher zensiert hatte.
«Ich hab da noch was gefunden, das Ihrer Frau gehören dürfte», sagte Bolton und reichte Lenas Tasche herein, die Edward ohne Kommentar entgegennahm. «Kann ich ihr noch ein paar Fragen stellen?»
«Sie sehen doch, Commodore», erklärte er düster. «Meine Frau ist vollkommen durcheinander. Sie wurde allem Anschein nach zum zweiten Mal entführt. Möglicherweise von demselben Mann, der sie schon zuvor gepeinigt hat. Ich werde erst Dr. Lafayette zurate ziehen müssen, bevor wir sie mit eingehenden Befragungen belasten können.»
«Sir Edward», wandte Bolton ein und warf Lena einen verstohlenen Blick zu. «Als wir in das Zimmer eingedrungen sind, machte Ihre Frau nicht den Eindruck, als ob sie unter ihrem Entführer sehr gelitten hätte.»
Edwards Augen verengten sich zu gefährlich schmalen Schlitzen. «Sind Sie nicht ganz bei Trost?», zischte er. «Oder wie kommen Sie zu einer solch unfassbaren Behauptung?» Seine Stimme nahm eine schrille Note an. «Ich muss mich doch sehr wundern», ereiferte er sich weiter. «Sie haben wohl keine Augen im Kopf. Der Kerl, der sie in seiner Gewalt hatte, besteht aus gut zweihundert Pfund Muskeln und ist drei Köpfe größer als meine Frau. Wenn es nicht einmal Ihren Soldaten gelang, ihn auf Anhieb zu überwältigen, und erst das halbe Haus abbrennen musste, wie hätte sich meine Frau ihm widersetzen sollen?»
Er straffte sich und bedachte Bolton mit einem abfälligen Blick. Der Commodore salutierte pikiert.
«Nichts für ungut, Sir. Ich wollte Ihre Frau nicht beleidigen. Es war nur …»
«Gehen Sie!», blaffte Edward ihn an, wobei sein Kopf rot anschwoll. «Und lassen Sie sich erst wieder blicken, wenn Sie mir sagen können, wer dieser Schwachkopf ist, der die Dreistigkeit besitzt, meine Frau aus meinem eigenen Haus zu entführen und in dieses heruntergekommene Freudenhaus zu verschleppen. Finden Sie heraus, ob er etwas mit diesen Rebellen zu tun hat, die unser ganzes Land tyrannisieren!»
Edward wartete nicht ab, was Bolton darauf zu erwidern hatte, sondern klopfte mit seinem Gehstock, der einen Degen in seinem Innern verbarg, energisch gegen das Kutschendach. Der Wagen zog an, und Bolton blieb nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen.
Nachdem die Pferde angetrabt waren und die Kutsche an Fahrt aufgenommen hatte, warf Edward einen Blick in die Tasche, die ihm Bolton übergeben hatte, und wühlte ein bisschen darin herum. Lena wurde ganz schummrig vor Angst. Was würde er denken, wenn er darin ihre Papiere entdeckte? Doch er verschloss die Tasche mit regloser Miene und bedachte Lena nur mit einem undurchsichtigen Blick.
«Denk ja nicht, dass du mir etwas verschweigen kannst», erklärte er unvermittelt. «Ich habe dich durchschaut.»
Jess hatte keine Gelegenheit, sich irgendetwas überzuziehen. Wie zu Zeiten der anlandenden Sklavenschiffe aus Afrika wurde er wie Gott ihn geschaffen hatte angekettet und auf einem Leiterwagen nach Spanish Town gefahren. Die Sonne brannte auf ihn herab, und der Durst quälte ihn. Doch niemand kam auf die Idee, ihm etwas zu trinken zu geben oder ihm eine Decke überzuwerfen. Und so hockte er mit angewinkelten Knien in seinem fahrenden Gefängnis, seine Arme und Hände waren wie zum Gebet gefaltet, der Blick nach unten gesenkt.
Ab und an streiften ihn die Blicke von vorbeilaufenden Schwarzen oder weißen Händlern, die auf ihrem Kutschbock saßen und ihnen ausweichen mussten. Aber der Transport von blutverschmierten, nackten Sklaven in Käfigen war in diesem Land keine große Sensation. Dass ihm acht uniformierte Rotröcke sowie ein uniformierter Navy-Commodore auf einem weißen Pferd folgten, war allerdings eine Besonderheit. Jess machte sich keine Illusionen darüber, was dieser Mann mit ihm vorhatte. Wenigstens hatte seine Wunde aufgehört zu bluten. Wenn er jedoch die verschlagene Miene des Offiziers betrachtete, würden bereits in Kürze
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