Flamme von Jamaika
klopfte es an der Tür, und Dr. Lafayette trat ein, wie immer in einem ordentlich gebügelten Anzug, die Nickelbrille auf der Nasenspitze.
«Ich hoffe, ich störe nicht», erklärte er höflich, wobei er nicht die geringste Ahnung zu haben schien, was hier los war.
«Gut, dass Sie da sind», sagte Lord William überraschend abgeklärt. Geschäftig erhob er sich mit einem falschen Lächeln. «Ich möchte, dass Sie meiner Schwiegertochter eine angemessene Menge Laudanum verabreichen, damit sie möglichst schnell schläft. Sie ist völlig erschöpft und neigt nach ihrer neuerlichen Entführung zu hysterischen Anfällen. Wir müssen sie unbedingt ruhigstellen, damit sie keine Dummheiten macht und sich am Ende noch selbst verletzt. Schließlich ist sie guter Hoffnung, und wir dürfen das Kind nicht gefährden. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir sie kurzfristig ins Naval Hospital nach Port Royal bringen, wo man schon Lady Elisabeth betreut. Zumindest bis das Kind das Licht der Welt erblickt, sollte man sie in ihrem Wahn vor sich selbst schützen.»
Fassungslos über die Dreistigkeit ihres Schwiegervaters, bäumte Lena sich auf und versuchte ihre letzten Kräfte zu mobilisieren, um einem furchtbaren Schicksal zu entgehen.
«Glauben Sie ihm nicht, Doktor!», schrie sie in Panik. «Die beiden wollen dafür sorgen, dass man mich für irrsinnig erklärt, aber das bin ich nicht! Ich flehe Sie an! Mein Schwiegervater ist ein Mörder. Und mein Mann ist ein notorischer Fremdgänger, der seine wehrlosen Sklavinnen samt deren Töchtern zum Beischlaf zwingt! Ich bin nicht entführt worden. Ich wollte das Land verlassen, weil hier ein solches Sodom und Gomorra herrscht, dass ich es nicht länger ertragen kann!»
«Sie haben recht», sagte der Doktor seltsam gefasst und nickte den beiden Männern mit einem bedauernden Blick zu. «Ihre bisherige Schweigsamkeit ist in Irrsinn umgeschlagen. Es bekümmert mich, eine solche Diagnose stellen zu müssen. Aber es bleibt uns tatsächlich nichts anderes übrig, als sie auf unbestimmte Zeit in eine geschlossene Anstalt einzuliefern. Bis dahin sollten wir sie ruhigstellen.»
Rasch zückte er eine braune Glasflasche aus seinem Medizinköfferchen und entkorkte sie. Dann nahm er einen Löffel und füllte ihn vorsichtig mit einer dunklen Flüssigkeit.
«Halten Sie sie fest», sagte er zu Vater und Sohn. «Es wird ihr nicht gefallen, was ich nun tue, aber es muss sein.»
Edward und sein Vater stürzten sich regelrecht auf Lena und drückten sie an Armen und Beinen in die Kissen. Lena musste einsehen, dass es keinen Zweck hatte, sich zu wehren. Lafayette setzte ihr eine Schraubzwinge aus Holz zwischen die Zähne und träufelte mit einem Silberlöffel Laudanum in ihren Mund. Sie war gezwungen zu schlucken, wenn sie nicht ersticken wollte. Schluck für Schluck spürte sie, wie ihr die Sinne schwanden. Sie hatte ihre letzte Chance auf Rettung verspielt. Ihre Absicht, Lord William von seinen moralischen Verpflichtungen zu überzeugen und damit Jess zu retten, war gründlich danebengegangen.
Manchmal war es von Vorteil, nicht so hell zu sein wie die Weißen, dachte Baba, während sie sich schleichend vom Fluss her dem Herrenhaus von Redfield Hall näherte. Sie hatte sich in kluger Absicht ihre schwarze Joppe übergezogen und war in der Dunkelheit nun beinahe unsichtbar. Das Licht der brennenden Feuerkörbe vor den Sklavensiedlungen wies ihr den Weg.
Kurz zuvor hatte sie einen Tumult zwischen den Stallungen beobachtet. Eine Gruppe von Aufsehern hatte sich zu einem nächtlichen Ausritt zusammengerottet. Und wenn sie nicht alles täuschte, war auch Edward Blake unter ihnen gewesen. Baba hatte erleichtert aufgeatmet und ihren Weg zur Villa fortgesetzt, als sie allesamt davongeritten waren. Nun war es wieder still geworden. Nur hier und da war noch das Wehklagen eines Säuglings zu hören, das von den Sklavenhütten herüberdrang und sich mit dem heiseren Bellen eines Hundes vermischte. Der Wind fuhr raschelnd in die Palmen.
Mit eisiger Entschlossenheit näherte sie sich dem Boteneingang des Hauses. Hier war sie jahrelang ein und aus gegangen, solange sie noch in William Blakes Gunst gestanden und er ihr erlaubt hatte, sich aus den Vorräten der Küche zu bedienen. Bezahlt hatte sie dafür mit ihrem Seelenheil. Stoisch hatte sie seine Vergewaltigungen und die dazu gehörigen Schläge ertragen, weil sie wusste, dass sie sich anschließend mit französischem Wein und kaltem Braten trösten
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