Flamme von Jamaika
– nichts.
«Vater, das hat doch so keinen Zweck», wandte Edward ungeduldig ein. «Du siehst doch, dass sie entweder nichts sagen will oder es nicht kann. Weiß der Teufel, warum.»
Lord William gesellte sich unaufgefordert zu Lena ans Bett und setzte sich neben sie. Seine manikürten Finger ergriffen ihre eiskalten Hände, und die grauen Augen fixierten sie, als ob er sie hypnotisieren wollte. Lena spürte, wie ihr Herz zu stolpern begann. Es war ungleich schwieriger, eine Rolle zu spielen und sich körperlich tot zu stellen, als es wirklich zu sein.
«Wir werden dafür sorgen, dass dieser Mann nie wieder eine Weiße entehrt», versprach Lord William mit eindringlicher Stimme. «Ich werde noch heute einen Boten nach Spanish Town entsenden und den Gouverneur bitten, dass man den Gefangenen der härtesten Folter aussetzt, die das britische Militär zu bieten hat. Sie sollen ihm sein braunes Fell über die Ohren ziehen, um ihn zum Sprechen zu bringen. Außerdem werde ich dafür plädieren, dass man ihn im Schnellverfahren verurteilt und ihn in spätestens drei Tagen hängt. Zugehörigkeit zu einer Rebellenorganisation und Unterstützung eines Aufstandes gegen die Staatsgewalt ist bei den Negern immer ganz leicht zu behaupten. Wenn du möchtest, lasse ich dir seinen Kopf auf einem silbernen Tablett servieren. Schließlich hat der Mann dir neuerliches Leid zugefügt, indem er so dreist war, dich direkt aus deinem Schlafzimmer zu entführen. Ich bin sicher, dass du deinen Schock überwinden kannst, wenn der Übeltäter nicht mehr unter den Lebenden weilt.»
Lena war bei Lord Williams Worten der Schweiß ausgebrochen, und jetzt bekam sie kaum noch Luft. Alles, was ihr Schwiegervater soeben gesagt hatte, würde er in die Tat umsetzen, dafür kannte sie ihn mittlerweile gut genug. Auch wenn es ihr wie der reine Wahnsinn erschien, blieb ihr nur noch die Flucht nach vorn, wenn sie das Leben von Jess retten wollte.
«Ich kann nicht zulassen, dass Sie ihn töten», brach es unvermittelt aus ihr hervor. «Es wäre ein großer Fehler.» Ihre Stimme war nur ein Hauch.
«Ein Fehler?» Lord William hob eine Braue.
Schlagartig wurde ihr klar, dass sie in eine Falle getappt war. Lord William war hundertmal gefährlicher als sein Sohn. Während Edward mit der Tür ins Haus polterte, kam Lord William ohne Schwierigkeiten mit lautlosen Schritten durch die Hinterpforte.
«Was für ein Fehler sollte das sein, einen Rebell aus der Welt zu schaffen?»
«Er ist kein Rebell», erwiderte Lena mit brüchiger Stimme. «Er ist Ihr Sohn, Lord William. Sie würden Ihren eigenen Sohn töten lassen.» Sie wurde lauter. «Dieser Mann ist Ihr eigenes Fleisch und Blut», entfuhr es Lena in der irrwitzigen Hoffnung, dass in der Brust dieses Mannes ein Herz wohnte und kein kalter Stein, wie zu vermuten war. «Sie haben sich schon genug an ihm und seiner Mutter versündigt. Es ist Ihre Pflicht als Mensch, als Christ und als Vater, für seine Freilassung zu sorgen. Ich flehe Sie an, Lord William, lassen Sie Gnade vor Recht ergehen und kehren Sie um. Ansonsten wird Gott Sie für Ihre Untaten hart bestrafen!»
Für einen Moment herrschte eisiges Schweigen, bis Edward die Stille durchbrach.
«Was redet sie da für einen Unsinn? Und überhaupt hatte ich recht, sie kann wieder sprechen, auch wenn sie nur blödsinniges Zeug von sich gibt!»
«Das ist kein blödsinniges Zeug.»
Am geschärften Blick ihres Schwiegervaters konnte Lena sehen, wie die Erkenntnis einschlug.
«Sie hat vollkommen recht», knurrte Lord William gefährlich leise. «Und das macht es umso schlimmer.»
«Kann mir vielleicht jemand erklären, was das alles zu bedeuten hat?» Edward schaute mit Unverständnis im Blick abwechselnd von Lena zu seinem Vater.
«Es bedeutet, dass deine Frau von deinem Halbbruder entführt wurde. Er hat ihr eine krude Geschichte erzählt, die jeder Wahrheit entbehrt. Und es bedeutet, dass sie sich davon hat beeinflussen lassen. Wahrscheinlich hat dieser Hund sie sogar gefickt. In jedem Fall muss er schnellstmöglich sterben, denn es kann kein Zufall sein, dass er sie entführt hat. Dahinter steckt eine uralte Geschichte, deren Dämonen wir keinesfalls wiederauferstehen lassen dürfen.»
Lena glaubte für einen Moment sich verhört zu haben, doch dann sah sie Lord Williams versteinerte Gesichtszüge und wusste, dass sie soeben in der Hölle angelangt war und Satan persönlich vor ihr saß.
Bevor sie aufspringen und ihm an den Hals gehen konnte,
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