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Flamme von Jamaika

Flamme von Jamaika

Titel: Flamme von Jamaika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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durfte.
    Knarrend öffnete sie die kleine Holztür. Ob Jess ihre Unvernunft geerbt hatte und längst in die Höhle des Löwen eingedrungen war? Sie hoffte inständig, dass er sich nicht hatte erwischen lassen. Dies war möglich, denn seit seinem Auftritt bei Desdemona hatte sie rein gar nichts mehr von ihm gehört. Aber es gab ja noch Estrelle, die ihr gewiss sagen konnte, ob er hier gewesen war und seinen Plan zur Rettung der weißen Schlampe in die Tat umgesetzt hatte.
    Estrelle wohnte gleich neben der Küche in einem bescheidenen Verschlag, den sie manchmal mit jüngeren Sklavinnen teilen musste, wenn mehr Personal im Haus tätig war, als es Schlafplätze gab. Als sich Baba über das breite Strohlager beugte, musste sie feststellen, dass dort nur eine junge Sklavin lag, die so fest schlief, dass sie Babas Gegenwart gar nicht bemerkte. Von Estrelle hingegen war weit und breit nichts zu sehen.
    Tastend versuchte sie sich in dem kleinen Verschlag zu orientieren. Plötzlich spürte Baba die Spitze eines Messers im Rücken und erstarrte vor Schreck.
    «Wer bist du, und was hast du hier zu suchen?», raunte eine krächzende Stimme aus der Dunkelheit.
    Nachdem Baba den ersten Schreck überwunden hatte, drehte sie sich halb um und nahm allen Mut zusammen.
    «Estrelle? Bist du’s?», flüsterte sie.
    «Baba?» Die Stimme klang reichlich erstaunt. «Hast du den Verstand verloren? Was ist, wenn man dich hier findet? Reicht es dir nicht, dass du auf dieser vermaledeiten Hochzeit gerade so mit heiler Haut davongekommen bist?»
    «Wer sollte mich hier finden?», fragte sie ärgerlich. «Der junge Master ist soeben mit seinen Aufsehern davongeritten. Und der alte macht mir keine Angst. Er sollte eher Angst vor mir haben!»
    «Das sehe ich anders», gab Estrelle aufgebracht zurück und ließ endlich den Dolch sinken. «Du weißt, dass Lord William dich töten würde, wenn er dich in die Finger bekommt.»
    «Ich will nur wissen, ob mein Junge hier war», erklärte Baba schlicht. «Wir sind im Streit auseinandergegangen. Er schrie im Zorn, dass er hierherkommen wolle, um eure weiße Herrin zu heilen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.»
    «Da bist du genau einen Tag zu spät», erwiderte Estrelle betrübt. «Er sitzt im Gefängnis von Spanish Town, und ich glaube kaum, dass du an seinem Schicksal noch etwas ändern kannst.»
    Baba stockte der Atem.
    «Spanish Town? Bei den Dämonen der Unterwelt! Wie konnte denn das geschehen? Und wieso weißt du davon?»
    «Willst du dich nicht lieber setzen?», fragte Estrelle und bot ihr einen Stuhl an.
    Dann entzündete sie ein schwaches Öllicht und begann leise von den vorangegangenen Geschehnissen zu erzählen. Davon, dass Jess im Herrenhaus von Redfield Hall aufgetaucht war und die junge Lady zunächst geheilt und dann entführt hatte. Dass beide bis Port Maria gekommen, dann jedoch von Edwards Verbündeten geschnappt worden waren.
    «Und wo ist die weiße Hure abgeblieben?», fragte Baba wie betäubt. «Hat sie ihn etwa der Entführung beschuldigt?»
    «Das kann ich mir kaum vorstellen», widersprach Estrelle. «Ich konnte sehen, wie sehr sie ihn liebt. Aber gestern Abend ist noch etwas anderes geschehen, das viel furchtbarer ist als alles zuvor. Jeremia und ich konnten William und Edward heimlich belauschen, als sie das Mädchen in die Zange genommen haben. In ihrer Not, Jess vor einer Verurteilung retten zu wollen, hat sie Lord William gebeichtet, wer Jess wirklich ist. Meine Herrin hat ihren Schwiegervater angefleht, nicht zuzulassen, dass sein eigen Fleisch und Blut an den Galgen gerät.»
    Baba hielt hörbar die Luft an.
    «Was hat er gesagt?», fragte sie tonlos.
    «Er beabsichtigt, in aller Frühe einen Boten mit einer Depesche nach Spanish Town zu entsenden, die Jess als Rebellen entlarvt. Er will, dass der Junge stirbt.»
    «Und das Mädchen?»
    «Sie liegt oben im Bett. Vollgepumpt mit Laudanum. Master William hat dafür gesorgt, dass sie morgen Mittag nach Port Royal in eine Anstalt gebracht wird.»
    «Ich hatte also recht mit meiner Befürchtung, dass man sie – wenn auch nicht gerade durch Folter – irgendwie zum Sprechen zwingen würde. Vermutlich geschah es durch ihre eigene Dummheit. Ich kann mir gut vorstellen, wie William sie ohne große Mühe aus der Reserve gelockt hat.»
    Baba war, als ob ihr jemand ein Messer in die Brust gerammt hätte. Nicht genug, dass William ihr Leben zerstört hatte, nun wollte er ihr zum zweiten Mal das Einzige nehmen, das sie

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