Flamme von Jamaika
außer Landes bringt, bevor Bolton genug Unsinn gesammelt hat, um eine offizielle Anklage gegen sie einreichen zu können.»
«Jess!» Lena verlor ihren letzten Funken Geduld. «Das kannst du nicht wollen», stammelte sie. «Ich liebe dich, und ich werde sterben, wenn sie dich hängen. Ganz gleich, wo ich bin!»
Jess machte Anstalten, sie in den Arm nehmen zu wollen, was seine Ketten verhinderten. Stattdessen streichelte er ihr nur sanft übers Gesicht.
«Prinzessin …», flüsterte er und küsste sie zärtlich auf den Mund. «Mach es uns nicht schwerer, als es ohnehin ist. Wenn du mich wirklich liebst, wirst du leben und unser Kind zur Welt bringen und dafür sorgen, dass es eine starke Persönlichkeit wird. Nur so bleibt etwas von mir – von uns – auf dieser Welt zurück. Hast du verstanden?»
Lena nickte kaum merklich und brach zugleich in Tränen aus. Es war ihr, als habe sich eine Schleuse geöffnet, der sie nicht mehr Herr werden konnte.
«Geh jetzt», sagte Jess und sah sie unendlich traurig an. «Und tu, was ich dir gesagt habe. Es ist das Letzte, womit du mir deine Liebe beweisen kannst.»
Plötzlich polterte es an der Tür. Die Zeit war um.
«Kommen Sie», sagte Gómez und fasste Lena vorsichtig an der Schulter. «Wir müssen gehen.»
Lena warf einen letzten Blick auf Jess, der ihr liebevoll zunickte, dann glitt sie wie betäubt aus seinen Armen.
Während sie, vorbei an teuren Geschäften, den Weg zurück zum Hotel einschlugen, war Lena nicht fähig, ein einziges Wort zu sagen, und Gómez fragte auch nichts. Erst als sie in der heißen Mittagssonne vor einem Café direkt neben dem
King George
haltmachten und Lena sich ohne Erklärung von ihm verabschieden wollte, ergriff er das Wort.
«Lady Blake …», begann er vorsichtig und nahm ihre Hand. «Ich will nicht in Sie dringen, aber ich wüsste doch gerne, was es mit den Anschuldigungen gegen Ihren … Bekannten auf sich hat. Ich möchte ihm so gerne helfen.»
Lena hob den Kopf und sah ihn schweigend an. Wo sollte sie anfangen, ohne weitere Menschen in Gefahr zu bringen? Gómez missdeutete ihr Schweigen und drückte ihre Hand noch ein bisschen fester. Seine dunklen Augen fixierten sie beschwörend.
«Sie können mir vertrauen», erklärte er leidenschaftlich. «Ich bin ein engagiertes Mitglied der Abolitionistenbewegung und stehe ohne Frage auf der Seite der Sklaven.»
Lena schluckte schwer.
«Sagt Ihnen
Die Flamme von Jamaika
etwas?», fragte sie leise.
In Gómez’ markantem Gesicht vollzog sich eine dramatische Wandlung.
«Oh … verdammt!», keuchte er. «Sagen Sie mir nicht, dass Ihr Freund ein Unterstützer dieser skrupellosen Rebellenorganisation ist!»
«Er ist kein Unterstützer», bekannte sie leise. «Er gehörte … zu deren Anführern.»
Gómez schnappte sichtbar nach Luft.
«Jesus Christus!», entfuhr es ihm. Doch dann dämpfte er seine Stimme schnell wieder und sah sich besorgt um, als ob er sicherstellen wollte, dass sie weder belauscht noch beobachtet wurden. «Wissen Sie überhaupt, was zurzeit in Trelawney und St. James los ist?»
Lena nickte bedrückt.
«Ja … ich habe davon gehört … aber –»
«Dort brennen überall Plantagen und Felder. Angeblich sollen sich an die 60000 Sklaven im Aufstand befinden. Es hat bereits jede Menge Tote gegeben. Unter den Weißen und auch unter den Sklaven. Das Militär hat alle Hände voll zu tun, die Revolte niederzuschlagen, damit sie nicht unversehens in einem Bürgerkrieg endet. Und bei allem, was zurzeit geschieht, gibt man der
Flamme von Jamaika
die Hauptschuld. Die unglaubliche Gewalttätigkeit, mit der das alles einhergeht, soll allein auf das Konto dieser äußerst brutalen Rebellen gehen. Damit werden die Ideen eines Samuel Sharpe, den Widerstand gegen die Sklaverei auf friedliche Weise voranzutreiben, völlig zunichtegemacht, was einer baldigen Aufhebung der Sklaverei aus meiner Sicht mehr schadet als nützt. Wenn also jemand erfahren sollte, dass Ihr … Bekannter zu den Anführern dieser Scharfmacher gehört, und sich herausstellt, dass Sie seine Geliebte sind, wird man Sie wegen Landesverrats hängen!»
Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Dennoch sah Lena ihn regungslos an.
«Was macht das jetzt noch für einen Unterschied?»
«Sie werden sterben, und das auf grausamste Weise», versicherte ihr Gómez mit aufgebrachter Stimme. «Man wird keine Rücksicht darauf nehmen, dass Sie eine adlige Weiße sind. Allenfalls die Geburt des Kindes würde man
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