Flamme von Jamaika
gleich aus dem Vollen, meine Liebe. Sagen Sie nur, Sie fühlen sich zu allem Übel auch noch den Sklaven verpflichtet?»
«Selbstverständlich. Warum nicht?»
«Weil ich einer Frau wie Ihnen so viel Mut gar nicht zugetraut hätte. Alle Achtung!» Mit einem Lächeln schob er das Geld zurück. «Ich vertrete Sie umsonst, weil ich nicht garantieren kann, ob wir eine solch blutige Schlacht gewinnen.»
«Nein.» Lena schüttelte den Kopf. «Ich möchte Sie für Ihre Mühen bezahlen.» Sie seufzte. «Solange ich es noch kann.»
«Gut», sagte er nur und lächelte knapp. «Aber das Geld nehme ich erst, wenn wir einen Erfolg verbuchen können. Wir treffen uns morgen früh um zehn. Wo kann ich Sie abholen?»
«Im
King George
», erwiderte sie erstaunlich souverän. «Ich werde dort auf unbestimmte Zeit ein Zimmer mieten.»
Wenig später betrat Lena ein geräumiges, helles Zimmer mit Blick auf den Prachtboulevard und den Gouverneurspalast. Sie dachte daran, wie unrecht Gómez hatte, wenn er sie für ein verwöhntes Gör hielt, dem das Beste gerade gut genug war. Sie hätte liebend gern in einer Höhle übernachtet, wenn es der Rettung von Jess dienlich gewesen wäre. Seit er in ihr Leben getreten war, wusste sie, dass es nicht auf den Ort ankam, um sich wohl zu fühlen, sondern auf die Gesellschaft.
Von ihrem Fenster aus konnte sie direkt auf das Justizgebäude und das daran anschließende Gefängnis schauen. Auch wenn Jess in Wahrheit unerreichbar für sie war, so verspürte sie wenigstens eine gewisse Nähe zu ihm. Das war auch der Hauptgrund dafür gewesen, dieses im Grunde überteuerte Zimmer zu mieten. Aber erstens war es nicht für lange, und zweitens reichte ihr Geld ohnehin nicht, um für Jess die Kaution zu bezahlen. Da hätte es auch keinen Unterschied gemacht, wenn sie stattdessen in eine dreckige Pension am anderen Ende der Stadt gezogen wäre.
Die Empfangsdame schien sich zu wundern, dass Lena zu Fuß angereist war und kaum Gepäck bei sich trug. Aber als sie die Miete für eine Nacht mit der Option auf weitere Nächte im Voraus zahlte, fragte niemand mehr nach dem Grund ihres Hierseins. Lena ließ sich ein einfaches Essen aufs Zimmer bringen. Sie hatte kaum Hunger und wollte mit Jess solidarisch sein, der, wenn er Glück hatte, vielleicht eine wässrige Suppe bekam.
Nach dem Abendbrot zog sie sich bis auf die Unterwäsche aus und warf ihre Kleider achtlos über einen Sessel. Als sie zum Fenster ging, um hinauszuschauen, fiel ihr Blicke auf ein kopiertes Gemälde, das den amtierenden Gouverneur von Jamaika zeigte. Davor stand ein Strauß Lilien in einer Porzellanvase. Nur mit Mühe widerstand sie dem Impuls, die Vase zu nehmen und dem Gouverneur auf dem Bild an den Kopf zu schleudern. Als sie zu Bett ging, schlief sie in dem Gedanken ein, dass Jamaika ein wahres Paradies hätte sein können, wenn es von der Gier der weißen Kolonialisten verschont geblieben wäre.
Am nächsten Tag stand Gómez pünktlich um zehn in der Empfangshalle des Hotels und trat sichtlich nervös auf der Stelle. Als er sie auf der Treppe erkannte, grüßte er mit einer gekonnten Verbeugung. Gemeinsam machten sie sich unverzüglich zum Büro von Commodore Bolton auf, dessen Hauptresidenz im Obersten Gerichtshof Lena bereits kannte. Ein livrierter Diener brachte sie zu den Räumlichkeiten und meldete sie an.
«Ah, Lady Blake!», begrüßte Bolton sie mit einem falschen Lächeln, das sogleich wieder erstarb, als er Maurizio Gómez erkannte. «Und wie ich sehe», sagte er kalt, «haben Sie sich gleich Verstärkung mitgebracht.»
«Wir möchten gerne wissen, was genau Sie meiner Mandantin vorwerfen», begann Gómez, ohne darauf zu warten, dass ihm Bolton das Wort erteilte.
«Das werde ich Ihnen gerne sagen», erwiderte Bolton. «Ein Zeuge ist aufgetaucht, der aussagt, Lady Blakes Behauptung, dass ihr Gatte sich versehentlich selbst mit seiner Jagdflinte erschossen habe, sei gelogen. Vielmehr habe er selbst draußen im Park zunächst ihren Schrei und dann einen Schuss gehört. Dies mutet merkwürdig an, wie Sie mir sicher zustimmen werden.»
«Der Mann könnte sich verhört haben», brachte Gómez ins Feld. «Außerdem … wer sagt denn, dass es Lady Blake war, die geschrien hat?»
Bolton zog eine Braue hoch und bedachte Lena mit einem fragenden Blick.
«Es gibt noch andere Zeugen», fuhr Bolton unbeeindruckt fort. «Der Gärtner zum Beispiel sagt auch, dass der Schrei vor dem Schuss zu hören war.»
«Das ist kein Argument, um
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