Flamme von Jamaika
vielleicht abwarten, bevor man Sie vor applaudierendem Publikum als Negerhure stranguliert.»
Aufgewühlt fuhr sich der Advokat über den Schnauzbart.
«Außerdem bin ich mir sicher, dass man Ihnen unter diesen Umständen auch zutrauen würde, Ihren Mann und Ihren Schwiegervater umgebracht zu haben. Ob zu Recht oder zu Unrecht. Niemand wäre in der Lage, Sie je von dieser Schuld zu erlösen.»
«Und wenn schon», entfuhr es ihr bitter. «Was habe ich denn noch zu verlieren?»
«Ihr Leben und das Ihres Kindes! Verdammt noch mal!», fluchte Gómez und packte sie hart bei den Schultern. «Das ist kein Spiel, Mylady! Ihr Freund hat vollkommen recht, Sie sollten sofort das Land verlassen. Am besten irgendwohin, wo der Arm der britischen Justiz Sie nicht erreichen kann.»
Unwirsch entzog sie sich seinem Griff. «Tun Sie, wofür ich Sie bezahle, und lassen Sie den Rest meine Sorge sein.»
Mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte gerade losmarschieren, als Gómez sie am Arm packte und festhielt.
«Nein, tut mir leid. Das kann ich nicht zulassen», widersprach er. «Wenn Sie unbedingt in Ihr Verderben rennen wollen, von mir aus gerne. Aber ohne mich! Falls ich Ihnen sonst irgendwie helfen kann, zum Beispiel Sie zum Hafen begleiten, um eine Schiffspassage für Sie zu buchen, melden Sie sich jederzeit.»
«Nein», presste sie enttäuscht hervor. «Ich komme schon allein zurecht.»
Mit diesen Worten ließ sie den Advokaten stehen und ging ohne Eile zum
King George Hotel
zurück. Mit einem Mal erschienen sämtliche Blumen farblos geworden, und selbst die Sonne strahlte kalt und hart von einem eisblauen Himmel herunter.
«Ich möchte nicht gestört werden», sagte Lena zu der schwarzen Dienerin, nachdem diese sie auf ihr luxuriöses Zimmer im ersten Stock geführt hatte.
Die Frau nickte nur und stellte eine Karaffe mit Wein und eine mit Wasser auf einem Tischchen ab. Lena versperrte die Tür, nachdem sich die Frau mit einem Knicks verabschiedet hatte, und setzte sich auf einen der Polsterstühle. Dann schnürte sie ihre Stiefel auf und kickte sie von den Füßen. Mit letzter Kraft schleppte sie sich zum Bett und warf sich hemmungslos weinend in die Kissen. Nach einer Weile schlief sie vor Erschöpfung ein und träumte, wie sie mit bloßen Händen Jess’ Zelle durchbrach und mit ihm in ein gleißendes Licht flüchtete. Selbst in ihrem Traum wusste sie, dass es ein Ort war, von dem es keine Wiederkehr gab.
Als sie mitten in der Nacht erwachte, war sie schweißgebadet und hatte vollkommen verquollene Augen. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie sich befand. Draußen dämmerte es bereits, und als die Wirklichkeit sich schließlich kalt und grausam einen Weg in ihr Bewusstsein bahnte, begann sie aufs Neue heftig zu weinen. Irgendwann beschloss sie, sich mit dem Wein zu betrinken, was zur Folge hatte, dass sie sich wenig später in den Leibstuhl erbrach.
Angeekelt riss sie sich die Kleider vom Leib, wusch sich und legte sich nur mit einem knielangen Unterhemd bekleidet wieder ins Bett. Als die Dienerin klopfte und besorgt nach ihrem Wohlergehen fragte, ereilte Lena eine plötzliche Eingebung.
«Moment», rief sie zurück und stemmte sich aus dem Bett. Barfuß lief sie zur Tür und öffnete sie einen Spalt weit. «Ich möchte kein Frühstück», kam sie der Dienerin zuvor und drückte ihr zehn Pfund in die Hand. «Bringen Sie mir mehr Wein und eine Flasche Laudanum», befahl sie ihr mit tonloser Stimme. «Und beeilen Sie sich. Den Rest von dem Geld können Sie behalten.»
Die junge Negerin nickte erfreut, und nach knapp einer Stunde tauchte sie auf und übergab Lena die bestellte Ware.
«Soll ich Ihnen nicht doch etwas zu essen bringen, Mylady?»
«Nein!», raunzte Lena sie an. «Sie sollen mich in Ruhe lassen und dafür sorgen, dass ich keinen ungebetenen Besuch bekomme.»
Als die Frau gegangen war, verschloss Lena die Tür und warf den Schlüssel in die erkaltete Feuerstelle im unbenutzten Kamin. Danach entkorkte sie den Wein und trank ihn direkt aus der Flasche. Zwischendrin nahm sie immer wieder einen großen Schluck Laudanumtinktur. Von Dr. Lafayettes Einsatz wusste sie, wie zuverlässig die Wirkung sein konnte. Erschöpft schlich sie schließlich zum Bett, fest entschlossen zu sterben, noch bevor die Nachricht von Jess’ Tod sie erreichen konnte.
Sie redete sich ein, dass sie sich den Tod nur fest genug wünschen musste. Sie hatte von Fällen gehört, wo die Frau bald nach dem Tod des geliebten
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