Flammen Der Nacht -4-
Beifahrersitz. »Los, verzieht euch nach hinten, Jungs.« Als ihre Söhne nicht reagierten, frotzelte sie: »Habt ihr etwa geglaubt, ich lass euch allein fahren?«
Jasha, schon immer der Vernünftigste, gab zu bedenken : »Mama, hältst du das für eine gute Idee? Das wird bestimmt keine schöne Sache.«
»Das interessiert mich nicht. Ich will die Fakten wissen. « Aus den Augenwinkeln registrierte sie, dass Rurik zustimmend nickte.
»Es ist dein gutes Recht, Mama.« Adrik ließ den Motor an. »Alles einsteigen, oder wollt ihr den Weg zu Miss Joyce lieber laufen?«
Als die beiden im Fond saßen, meinte Adrik: »Mir wäre nie auch nur der Gedanke gekommen, Miss Joyce zu verdächtigen. Euch etwa?«
»Nein, nicht eine Sekunde lang«, räumte Jasha ein. »Dabei lag der Verdacht nahe. Sie schwirrte dauernd um uns herum, beobachtete uns, steckte ihre Nase in unsere Angelegenheiten.«
»Sie steckt ihre Nase überall rein, nicht nur bei uns.« Rurik tippte seiner Mutter auf die Schulter. »Du schnallst dich besser an, Mama. Adrik rast wie ein Irrer.«
Zorana ließ den Sicherheitsgurt einschnappen. »Ich weiß, das hat er immer gemacht.«
»Inzwischen fährt er noch bescheuerter als früher«, grinste Rurik.
Miss Joyce lebte in einem kleinen Haus aus den zwanziger Jahren. Für eine Lehrerin ohne Familie war der Platz völlig ausreichend: ein Schlafzimmer, ein Bad, ein Wohnzimmer, eine winzige Küche und ein kleiner Garten, eingefasst von einem weiß gestrichenen Holzzaun. Das Haus lag am Rand der Stadt, ein wenig isoliert durch riesige Felder, und die Leute respektierten Miss Joyces Wunsch nach Privatsphäre.
Zorana zog das Fliegengitter vor der Tür auf und klopfte.
Privatsphäre. Oh ja. Miss Joyce war bestimmt versessen auf ihre Privatsphäre, um ihre wahre Natur vor ihren Schülern, den Nachbarn und vor dem Rest der Menschheit zu verbergen. Denn sie war ein Monster. Ein Monster.
Bleierne Stille lag über dem kleinen Anwesen. Die Wintersonne schien von einem strahlend blauen Himmel, zeichnete scharfe Schatten und spendete keine Wärme.
Zorana wartete unverhältnismäßig lange, bevor sie unbehaglich zu ihren Söhnen spähte, die vor dem Van standen, der am Straßenrand parkte.
Jasha wirkte solide und businesslike, nichts an seinem Aussehen ließ den leidenschaftlichen Menschen vermuten, für den Ann gekämpft und den sie mit ihrer Liebe erobert hatte.
Rurik hatte noch immer die Ausstrahlung eines waghalsigen Draufgängers, nicht zuletzt deswegen war
er früher Pilot bei der Air Force gewesen. Inzwischen ein weltweit angesehener Archäologe, glänzte er mit Pragmatismus und Intellekt.
Adrik – Adrik waren die Spuren des Abenteuers anzusehen, des Kampfs Gut gegen Böse, in dem Karen fast ihr Leben verloren hatte. Er war buchstäblich durch die Hölle gegangen und mit letzter Kraft entkommen. Er war härter als ihre beiden anderen Söhne, das Schicksal hatte ihn zwar gebrochen, aber dadurch war er ein anderer Mann geworden, dachte Zorana, und ihr liebendes Mutterherz krampfte sich schmerzvoll zusammen.
»Ich werde sie büßen lassen. Für alles, was sie uns angetan hat«, murmelte Zorana leise.
Sie klopfte abermals. Dann hörte sie schlurfende Schritte auf den Holzdielen. Der Türvorhang wurde einen Spalt beiseitegeschoben, ein Auge blinzelte durch das schmutzige Glas.
Der Schlüssel klapperte im Schloss, die Tür sprang knarrend auf, und Miss Joyce inspizierte Zorana von oben bis unten.
Die Lehrerin wirkte verblüffend klein. Als wäre sie geschrumpft.
»Zorana, wie schön, dass Sie mich besuchen kommen. Bloß schade, dass Sie nicht vorher angerufen haben … ich bin nämlich sehr beschäftigt …« Sie beschrieb eine vage Handbewegung in Richtung Flur.
»Ich habe eine Überraschung für Sie.« Zorana stemmte geistesgegenwärtig ihre flache Hand gegen die Tür, befürchtete, dass die Lehrerin sie ihr vor der Nase zuschlagen würde. »Neuigkeiten von einem Ihrer
Schüler. So etwas interessiert Sie doch immer sehr, nicht wahr?«
»Na los, erzählen Sie schon«, versetzte Miss Joyce übellaunig.
»Kommen Sie kurz mit, ich möchte Ihnen etwas zeigen. «
»Schön, schön, meine Liebe.« Ihre Stimme klang schrill wie bei einer alten Frau. Sie war alt, allerdings ließ sich ihr wahres Alter schwerlich schätzen. »Wissen Sie, ich bin nicht richtig auf dem Damm …«
»Das macht gar nichts.« Zorana lächelte und blieb dabei unerbittlich. »Ein Nein lasse ich nämlich nicht gelten.«
Miss Joyce
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