Flammen der Rache
Noch ehe Lily auch nur ihren Gurt gelöst hatte, war Val bereits mit Tam auf den Armen ausgestiegen und zur Tür der Notaufnahme gehastet. Bis der Rest von ihnen Rachel ihre Schuhe und den Mantel angezogen und das Gebäude betreten hatte, waren Val und Tam längst hinter den Türen des Behandlungsbereiches verschwunden.
Ab da gab es für sie nichts mehr zu tun, als es sich im Wartebereich bequem zu machen und Rachel zu beschäftigen. Sie waren viel zu eilig aufgebrochen, um an Spielzeug, Bücher, Puppen, Puzzles oder irgendein topmodernes elektronisches Gerät zu denken, auf dem man Kinderfernsehen hätte empfangen können. Tante Rosa, die mit geschlossenen Augen Gebete murmelte, war auch keine Hilfe. Noch weniger ließ sich das von Aaro behaupten – was keine große Überraschung war. Er schlich wie ein angeketteter Wolf um ihre Sitzbänke und telefonierte grimmig auf seinem Handy.
»… natürlich nicht … aber hätten die Damen nicht beschlossen, nach Seattle zu fahren … Herrgott noch mal … niemand gibt hier irgendwem an irgendetwas die Schuld! … Ja, kommt einfach so schnell wie möglich hierher! Wir werden ganz sicher nicht weggehen …«
Also war es Lily zugefallen, Rachel zu unterhalten. Sie hatte einen Schnürsenkel aus ihrem Schuh gezogen und dem Mädchen beigebracht, wie man Katzenwiege spielte.
Aaro sprach gerade ein zweites Mal mit Edie und versuchte, ihr die schnellste Route nach Rosaline Creek zu erklären. Seine Stimmlage verriet, dass das Stresslevel kein bisschen zu ihrer gegenseitigen Verständigung beitrug.
Eine mit der typischen grünen Uniform bekleidete Krankenschwester kam mit einem Klemmbrett herein. Sie war jung, dunkelhaarig und auf eine frisch polierte Weise hübsch. Mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln ließ sie den Blick durch den Raum schweifen, dann heftete sie ihn auf ihre kleine Gruppe.
»Gehören Sie zu Tamara Steele?«
Aaro unterbrach sein Auf- und Abtigern und klappte das Handy zu. »Geht es ihr gut?«
Die Frau zog ihr Klemmbrett zu Rate. »Sie wurde stabilisiert«, sagte sie vorsichtig. »Wir tun alles in unserer Macht Stehende.«
Rachel ließ ihre Hände, zwischen denen noch immer die Katzenwippe gespannt war, sinken. Sie brach in Tränen aus.
Lily nahm sie auf den Schoß und klemmte ihren schwarzen Wuschelkopf unter ihr Kinn, sodass die weichen Löckchen sie in der Nase kitzelten.
»Es wird alles wieder gut«, flüsterte sie ihr zu und hoffte dabei inständig, dass es die Wahrheit war.
Denn wer wusste besser als sie, wie unwahr solch eine Behauptung sein konnte? Rachel wusste es auch. Sie alle taten es, sogar Aaro. Lily kannte Aaros Geschichte nicht, aber das musste sie auch nicht. Es bestand kein Zweifel, dass er eine hatte. Sie fühlte die Schwingungen, die er ausstrahlte. Sie alle kannten Geschichten, die ein schlechtes Ende genommen hatten.
Genau in diesem Moment beendete Rosa ihren Gebetszyklus und öffnete die Augen. Sie weiteten sich, als sie die Krankenschwester sah.
»
Ehi!
«, stieß sie hervor. »Sie sind doch die nette Dame aus dem Babygeschäft! Wie geht es Ihnen?«
Die Frau schaute einen Moment verwirrt drein, dann hellten sich ihre Züge auf. »Oh, hallo! Sie sind es! Wie schön, Sie wiederzusehen! Was für ein Zufall!«
»Wie geht es der kleinen Hayden und dem kleinen Phillip?« Ein sentimentales Lächeln glitt über Rosas Gesicht. »Ich habe sie in dem Kinderausstattungsladen im Einkaufszentrum kennengelernt«, klärte sie Lily auf. »Mit ihren Zwillingen. Ein Junge und ein Mädchen. Die süßesten
bimbi
, die man sich denken kann. Sie sehen genauso aus wie Bruno und Magda, als sie klein waren. Meine Güte, Sie hatten gar nicht erwähnt, dass Sie auch noch Krankenschwester sind! Sie müssen eine viel beschäftigte Frau sein!«
Die Schwester lachte. »Das bin ich. Den Zwillingen geht es großartig. Sie sind in der Obhut ihres Vaters und gucken bestimmt viel zu lange fern. Wir waren gerade zu Besuch bei Jims Eltern, als wir uns begegnet sind, aber eigentlich leben wir hier, in Craigsville Heights.«
Rachel rutschte von Lilys Schoß. »Wirst du Irina retten?«, fragte sie.
Die Schwester schaute zu ihr runter. »Entschuldige, Schätzchen? Wer ist Irina?«
»Meine kleine Schwester«, erklärte Rachel. »Sie ist in Mamas Bauch.«
»Ach so.« Die Frau streichelte Rachels lockigen Schopf. »Wir tun unser Bestes für Irina, Herzchen.«
Rosa spähte auf das laminierte Namensschild am Kittel der Frau. »Sylvia Jerrold, Krankenpflegerin. Ich
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