Flammen der Rache
aus und schwang sie in hohem Bogen in Richtung seines Kopfs. Er hob schützend den Arm, und Lily nutzte diesen Sekundenbruchteil, um ihm einen frontalen Tritt in die Weichteile zu verpassen. Wütend grunzend stolperte er einige Schritte zurück.
Sie erkannte den zweiten Mann in dem Moment, als er das Bein hochriss und sein Stiefelabsatz schmerzhaft mit ihrem Handgelenk kollidierte. Das Pfefferspray flog ihr aus der Hand, knallte auf den Gehsteig und rollte außer Reichweite. Lily flüchtete sich zwischen eine Gruppe von Mülltonnen und trat eine um, damit sie den Weg des Angreifers blockierte. Er beugte sich darüber, zückte ein blitzendes Messer und stieß es nach unten …
Lily prallte rückwärts gegen einen parkenden Wagen, rollte sich über der Motorhaube ab und landete wieder auf der Straße. Ohne sich um plärrende Hupen und quietschende Bremsen zu kümmern, rannte sie zwischen den Autos hindurch. Angreifer Nummer zwei war ein weiterer Taxifahrer aus Shaversham Point. In ihrer Realität hatte sich ein Spalt aufgetan und Dämonen aus der Hölle ausgespuckt. Sie brauchte eine geschäftige Straße, eine Kreuzung, eine U-Bahn-Station, Zeugen. Sie tastete nach ihrem Handy. Es war weg.
Die Muskeln in ihren Beinen brannten, als sie an dem indischen Restaurant, der Sushibar, dem Waschsalon, der Kleiderboutique und dem Blumenhändler vorbeisprintete. Niemand in diesen Geschäften könnte sie gegen Messer schwingende Dämonen verteidigen, während sie die Polizei alarmierte und wartete, dass die Cops übernahmen. Sie würde sterben. Genau wie jeder, der ihr helfen würde.
Sie spähte über ihre Schulter und stellte entsetzt fest, dass ihr Verfolger aufholte. Eine U-Bahn-Treppe. Sie hetzte die Stufen hinunter und betete, dass es unten ein Drehkreuz geben würde und nicht eine dieser Personenschleusen ohne Ticketschalter. Mit dem Drehkreuz hatte sie Glück, dafür war der Schalter geschlossen, es gab nur einen Automaten. Hier war niemand, der ihre Notlage bemerken und die Polizei verständigen würde. Eine U-Bahn fuhr ein und kam quietschend zum Stehen. Lily sprang mit einem Satz über das Drehkreuz und rannte zu dem Zug, dessen Türen offen standen. Die Türen glitten zu. Sie warf sich in ein Abteil.
Doch ihre Schulter klemmte in der Tür fest, die seufzend und knarzend ihr Fleisch malträtierte, während sie versuchte, sich ganz zu schließen. Lily saß in der Falle. Sie konnte nichts weiter tun, als den Kopf umzuwenden und zuzusehen, wie der Tod die Treppe runtergestürmt kam und direkt auf sie zuraste. Die Tür glitt wieder auf. Lily taumelte ins Innere und kauerte sich mitten im Abteil auf den Boden. Ihre Beine zitterten so stark, dass sie nicht aufstehen konnte. Ihr Verfolger würde es ebenfalls in den Zug schaffen.
Aber die Tür schloss sich Zentimeter vor seiner Nase. Der Angreifer warf sich dagegen, dann schob er tastend seine Finger zwischen die Gummiabdichtung. Der Zug setzte sich in Bewegung und nahm langsam Geschwindigkeit auf.
Etwas Unverständliches brüllend joggte der Kerl nebenher. Er bleckte die Zähne und stieß eine obszöne Drohung aus, dabei fasste er sich mit der Hand in den Schritt.
Keuchend, um Luft ringend hockte Lily auf dem Boden. Es war fast niemand im Abteil. Eine Mädchen mit Ohrhörern, die mit geschlossenen Augen zum Takt der Musik aus ihrem iPod mitwippte. Ein Obdachloser, der schlafend mehrere Sitzplätze belegte. Eine erschöpfte Frau mittleren Alters, die bewusst wegsah, weil sie nach der Arbeit nur noch nach Hause und sich ausruhen wollte.
Lily spürte etwas Warmes und Feuchtes an ihrer Hand: Blut, das aus einer Stichwunde an ihrem Unterarm rann. Dicke Tropfen platschten auf den Boden.
Verdammt. Er hatte sie direkt vor Ninas Apartment verletzt. Sie hatte es in ihrer Verzweiflung nicht mal gespürt. Sie starrte einen Moment lang dümmlich darauf, dann zog sie ihren Kapuzenpulli aus, knüllte den Ärmel zusammen und übte Druck auf die Wunde aus. Ohne das Sweatshirt fror sie und zitterte wie Espenlaub, konnte aber nicht sagen, ob es am Schock lag oder an der Kälte. Vermutlich an beidem.
Vor Ninas Apartment
. Woher hatten sie gewusst, dass sie nicht sofort nach Hause gehen würde? Lily hatte ihren Plan für den Abend mit Nina per Handy verabredet, während der Zugfahrt. Hörten die ihr Telefon ab?
Die noch schlimmere Alternative wäre, dass sie Ninas Telefon abhörten. Bei dieser Überlegung brach eine ganz neue, noch entsetzlichere Welle der Furcht über sie herein. Diese
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