Flammen des Himmels
Worte zurückzuhalten, die ihm über die Lippen kommen wollten, fiel die Frau vor Knipperdolling auf die Knie. »Übt Gnade, Herr! Dieses Haus ist alles, was wir besitzen. Wenn ich etwas gegen Eure Leute gesagt haben sollte, tut es mir leid. Es war gewiss nicht böse gemeint. Ich …«
Knipperdolling versetzte ihr einen Stoß, der sie in den Straßenkot warf, und gab dem Stadtknecht einen Wink. »Schafft sie fort! Soll Waldeck sich um sie kümmern.«
»Komm, in dieser Stadt voller Lumpen will ich nicht bleiben!«, rief der Hausbesitzer, packte seine Frau und zog sie mit sich.
Der Stadtknecht folgte ihm jedoch und schlug ihm mehrmals ins Gesicht. »Was? Lumpen sind wir für dich! Dafür sollte ich dich erschlagen wie einen Hund!«
Hasserfüllt hob er das Schwert, und der Bedrohte rannte schreiend davon. Die Frau mit ihren Kindern und der blutende Alte kamen nicht mehr hinterher und jammerten zum Steinerweichen.
Knipperdolling sah ihnen nach und drehte sich dann zu der zusammengelaufenen Menge um. »So wie diesen ergeht es allen, die unseren Glauben und uns schmähen!«
Dann bemerkte er, dass das Gesinde zurückgeblieben war, und funkelte die Knechte und Mägde zornig an. »Was seid ihr noch hier?«
Die vier schienen nicht zu wissen, wer von ihnen sprechen sollte. Schließlich schoben die anderen den älteren Knecht nach vorne. Dieser umkrampfte seinen Hut mit den Händen und blickte Knipperdolling ängstlich an.
»Verzeiht, mein Herr! Aber wir sind einfache Leute und hätten uns längst belehren und taufen lassen, durften es wegen der Herrschaft nicht wagen. Bitte, vertreibt uns nicht auch, sondern erlaubt uns, uns euch anzuschließen, auf dass auch wir des Himmelreichs teilhaftig werden.«
Frauke hätte nicht zu sagen vermocht, ob der Mann tatsächlich ein heimlicher Anhänger der Täufer war oder ob allein die Angst seine Zunge führte. Immerhin war der Herbst bereits fortgeschritten, und da war es für Knechte und Mägde fast unmöglich, einen neuen Dienst zu finden.
Auch Knipperdolling schien zunächst unschlüssig, aber dann nickte er zufrieden und winkte den Stadtknecht zu sich. »Nimm die Leute hier in Gewahrsam. Sie werden morgen früh getauft!«
»Sehr wohl, Herr Knipperdolling!« Der Mann wandte sich den vieren zu und herrschte sie an, mit ihm zu kommen.
Erleichtert, weil sie die Heimat nicht verloren, folgten die Knechte und Mägde ihm, und die Zuschauer verliefen sich. Die Holländerin, die Katrijn genannt wurde, legte sich das Tragejoch auf die Schultern und ging beschwingt davon.
Auch Frauke hielt es jetzt nicht mehr beim Brunnen. Sie nahm ihren Eimer und lief zu dem Haus, in dem sie gezwungen war zu wohnen. Bislang hatte sie es nicht über sich gebracht, es als Klüdemanns Eigentum anzusehen, und fragte sich, was mit dem Haus geschehen würde, dessen Bewohner eben aus der Stadt gejagt worden waren.
9.
H inner Hinrichs blickte erleichtert auf die Mauern von Münster. In ihnen würde er der göttlichen Gnade teilhaftig werden und mehr sein als ein zugereister Gürtelschneider, der nur dann arbeiten durfte, wenn die Gilde es zuließ.
»Wir haben es geschafft, mein Sohn!«, sagte er ungewohnt aufgeräumt.
Helm grinste erleichtert, sagte aber nur: »Ja, Vater!«
Mehr noch als sein Vater hoffte er auf die Wiederkehr Christi, die ihn aus dem Stand eines schlichten Lehrlings zu dem eines hohen Herrn im neuen Jerusalem erheben würde. Vor allem aber durfte der Vater ihm dann keine Ohrfeigen mehr versetzen, wie es immer noch häufig geschah. In der Hinsicht bedauerte Helm Fraukes Tod, denn seine jüngere Schwester hatte den väterlichen Zorn meist auf sich gelenkt und ihn damit vor mancher Züchtigung bewahrt.
»Werden auch unsere Toten wiederkehren, Vater?«, fragte er bei dem Gedanken.
»Das werden sie, und sie werden schön sein wie Engel im Himmel! Auch wir werden wie Engel sein und alles Glück der Welt erleben.« Hinrichs dauerte die Zeit bis zu dem Tag des Heils, den Jan Matthys ihnen für die Erscheinung des Herrn prophezeit hatte, viel zu lange, denn bis dorthin würde er sich als Stadtfremder durchschlagen und bei Glaubensbrüdern als Knecht dienen müssen.
»Wie werden sie uns hier empfangen?«, fragte Helm weiter.
Die eigene Flucht und die Nachricht vom Tod der Mutter und der Geschwister hatten ihn erschreckt, und nun befürchtete er, dass es ihnen in dieser Stadt schlecht ergehen würde.
Einer ihrer Begleiter, denen sie sich unterwegs angeschlossen hatten, begann zu lachen.
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