Flammen des Himmels
nicht getauft. Das sollten wir schleunigst nachholen, damit auch du der Gnade Gottes bei der Wiederkehr unseres Herrn Jesus Christus teilhaftig wirst. Ich habe Angst um dich und will dich nicht im Höllenfeuer braten sehen.«
Noch während Silke es sagte, schloss sie Frauke in die Arme und zog sie an sich. »Ich habe dich doch lieb, Kleines!«
Das hatte sie früher oft gesagt, wenn Frauke wegen irgendeiner Bemerkung gescholten oder gar geschlagen worden war. In den letzten Jahren hatte Frauke diese Worte nur noch selten zu hören bekommen, und so war sie überrascht, sie zu vernehmen. Es tat ihr gut, und während sie die Schwester umarmte, fühlte sie die Klammer, die sie beide verband.
»Es wird alles gut, Silke! Gott kann einfach nicht zulassen, dass es anders kommt«, flüsterte sie und kämpfte ebenso wie ihre Schwester gegen die Tränen an.
Der Augenblick schwesterlicher Gemeinsamkeit dauerte nicht lange, denn Mieke Klüdemann rauschte heran, blickte naserümpfend in den Stall und fuhr Frauke an. »Du bist ja noch nicht fertig!«
Frauke ließ Silke los und beschloss, Klüdemanns Weib nicht zu erwürgen, obwohl diese es wahrlich verdient hätte. Stattdessen deutete sie einen Knicks an, ergriff die Mistforke und machte sich ans Werk. Silke musste sich anranzen lassen, dass sie endlich die Küche säubern solle, und verschwand mit dem Gefühl, dass Mieke Klüdemann sich hier in Münster noch ekelhafter aufführte als in ihrem alten Heim in Geseke.
Frauke empfand das genauso und setzte ihre ganze Hoffnung darauf, bald einen anderen Dienst zu finden. Da ihr Vater verschollen war, aber nicht als tot galt, durfte die Mutter keine zweite Ehe eingehen, um ihren sozialen Stand wieder zu heben. Zudem würde sie schon deswegen nicht erneut heiraten, weil sie fest an die Rückkehr des Heilands glaubte. Vielleicht nahm sie auch an, der Vater hätte überlebt und würde ebenfalls nach Münster kommen. Einen Augenblick klammerte auch Frauke sich an diese Hoffnung. Wenn Vater auftauchte, würden sie wohl auch ein solch schönes Haus wie Klüdemann erhalten. Dann aber erinnerte sie sich, dass die Bewohner dieses Hauses aus der Stadt vertrieben worden waren und sie ebenfalls in einem durch Unrecht erworbenen Anwesen würden wohnen müssen. Wie sie es auch drehen und wenden mochte, irgendjemandem würde immer ein Leid angetan werden, und das war ihr von Herzen zuwider.
8.
D ie Spannungen in der Stadt wurden auch für Frauke sehr bald spürbar. Schritt sie durch die eine Gasse, riefen die Leute ihr »Ketzerin« nach oder »Täufergesindel«, während sie in anderen Straßen auf Leute traf, die sie freundlich grüßten und voller Ehrfurcht von Bernhard Rothmanns Predigten sprachen und denen jener Propheten, die das nahende Ende der Welt verkündeten.
Der Gedanke, sein altes Leben zurücklassen und an der Herrlichkeit Gottes mit all seinen Vorteilen teilhaben zu können, hatte etwas Begeisterndes an sich. Selbst Frauke ertappte sich dabei, dass sie sich während der Predigten ihr Leben in einem himmlischen Jerusalem ausmalte. Wenn sie danach wieder in Klüdemanns neuem Haus arbeitete, kamen ihr die anderen Menschen in den Sinn, die laut Rothmanns Worten unwürdig und dem Verderben preisgegeben wären. Zu denen gehörten auch die beiden Männer, die ihr, ihrer Mutter und ihrer Schwester die Flucht aus den Klauen des Inquisitors ermöglicht hatten, nämlich der wackere Stadtknecht Draas und Lothar Gardner, der zwar wie ein Mädchen aussah, aber den Mut eines erwachsenen Mannes bewiesen hatte.
Der Gedanke, dass die beiden – vor allem aber Lothar – zur Höllenpein verurteilt sein sollten, verhinderte, dass Frauke sich den Täufern mit Haut und Haaren verschrieb. Zwar stellte sie keine Fragen, welche die Prediger verärgern konnten, aber die Lehre blieb ihr im Herzen fremd. Gelegentlich fragte sie sich sogar, ob sie sich überhaupt taufen lassen sollte. Zu groß erschien ihr das Unrecht, so vielen Menschen Tod und Höllenpein zu wünschen, wie diejenigen es taten, die behaupteten, Gottes Wort zu verkünden.
In den Wochen nach ihrer Ankunft kam viel Volk nach Münster. Ein Teil davon war aus der Heimat vertrieben worden, andere hatten sich auf den Weg gemacht, als sie dazu aufgefordert worden waren. Einige Gruppen wollten sich nicht aufteilen lassen und bezogen die Klöster und Konvente der Stadt, aus denen man inzwischen alle Mönche und Nonnen verjagt hatte. Diese Zuzügler waren der Grund, dass sich die Verhältnisse in
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