Flammen des Himmels
tippte sich an die Stirn. »Das hast du Narr jetzt davon. Aber ich sage dir eins: Umsonst werden Silke und ich deinetwegen nicht hungern!«
Für Helm war klar, dass seine Schwestern auf Vergeltung sinnen würden. Er ärgerte sich jedoch weniger, das Heu auf Silke geworfen zu haben, als vielmehr darüber, dass diese sich hier in Münster mehr an Frauke hielt als an ihn. Zu Hause war das ganz anders gewesen.
Während er schnaubend den letzten Haufen Heu nach vorne schob, pflückte Frauke büschelweise Halme von Silke und warf sie, da sie es nicht mehr nach oben schaffen wollte, den Ziegen vor. Dann sah sie ihre ältere Schwester mit kläglichem Blick an. »Was sollen wir tun? Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen und Hunger bis unter die Achseln.«
»Ich auch!«, rief Helm von oben herab. »Arbeiten dürfen wir, dass uns die Schwarte kracht, doch den Brotkorb hängt uns Katrijn ziemlich hoch. So habe ich mir das Paradies wahrlich nicht vorgestellt.«
»Das soll auch erst zum nächsten Osterfest kommen«, erklärte Silke bissig. »Bis dorthin müssen wir durchhalten.«
»Aber was machen wir, wenn unser Herr Jesus Christus sagt, dass Vater sowohl mit Mutter wie auch mit Katrijn verheiratet bleiben soll?« Diese Aussicht verdüsterte Frauke die Aussicht auf ein ewiges Leben.
Ihr Bruder lachte sie aus. »Katrijn ist doch Witwe! Daher wird sie gewiss ihrem ersten Ehemann übergeben. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass der sich darüber freuen wird.«
»Wir tun es umso mehr!« Silke lachte nun ebenfalls und schloss Frauke in die Arme. »Keine Angst, Kleines! Es wird alles gut.«
»Wenn Mutter nicht die ganze Zeit in ihrer Kammer sitzen und vor sich hin starren würde, ohne sich um uns oder irgendetwas anderes zu kümmern«, seufzte Frauke und setzte still für sich hinzu, dass ihre Mutter seit der Gefangenschaft und ihrer Schändung durch den Foltermeister nicht mehr dieselbe war.
Leider wusste sie nicht, wie sie das ändern konnte. Ihr selbst blieb nichts anderes übrig, als Katrijn zu gehorchen. Dies bedeutete aber auch, am nächsten Morgen mit leerem Magen zum Brunnen zu gehen und Wasser zu holen. Mit diesem Gedanken verabschiedete sie sich von ihren Geschwistern, betrat ihre Kammer und machte sich zur Nacht zurecht.
Helm ging ebenfalls bald zu Bett. Als er sich gerade zurechtlegte, hörte er, dass sein Vater und Katrijn ihre Kammer betraten. Kurz darauf verriet ihm ein gepresstes Keuchen und Stöhnen, dass die beiden wieder dabei waren, das älteste Spiel der Welt zu spielen. Es erregte den jungen Burschen so, dass er weinte, weil er selbst keine Möglichkeit hatte, es seinem Vater gleichzutun, denn alles in ihm drängte danach, sich ebenfalls als Mann zu beweisen.
9.
A m nächsten Tag wachte Frauke später auf als gewöhnlich. Als sie die Uhr von Sankt Ludgeri die erste Morgenstunde schlagen hörte, sprang sie aus dem Bett und fuhr in ihr Kleid, ohne sich zu waschen. Noch während Silke schlaftrunken aufsah, eilte sie zur Tür hinaus, hob die beiden Eimer auf, die es in diesem Haus gab, und schlug den Weg zum Brunnen ein.
Sie war die Erste dort und atmete auf. Doch als sie den Schöpfeimer in den Brunnenschacht hinablassen wollte, sah sie, dass dieser bereits unten war. Ohne sich viel dabei zu denken, wollte sie ihn wieder hochziehen, doch er rührte sich nicht. Nun stemmte sie sich mit aller Kraft gegen die Kurbel, aber es gelang ihr nicht, den Eimer hochzuziehen.
»Der kann sich doch nicht unten irgendwo verhakt haben«, sagte sie verzweifelt und versuchte es erneut. Genauso gut hätte sie an einem Felsblock zerren können.
Gegen ihren Willen kamen ihr die Tränen. Auch wenn sie nichts dafür konnte, würde Katrijn sie schelten. Wie durch einen Schleier sah sie jemanden auf sich zukommen, doch erst, als sie sich die Augen trocken wischte, erkannte sie die Frau, der sie zwei Tage zuvor das offene Tor zu verdanken hatte.
»Guten Morgen!«, grüßte sie erleichtert. »Der Schöpfeimer sitzt unten fest. Vielleicht schaffen wir es zu zweit, ihn hochzuholen.«
Lothar freute sich, Frauke zu sehen, obwohl er sich sagte, dass er ihre Nähe meiden musste, um der Gefahr einer Entdeckung zu entgehen. Dennoch trat er neben sie.
»Versuchen wir es«, murmelte er extra undeutlich, damit sie ihn nicht an seiner Stimme erkennen sollte.
Als er die Kurbel drehen wollte, spürte er das Gegengewicht, aber auch, dass er unter Aufbietung aller Kräfte den Eimer etwas heben konnte.
»Der sitzt nicht fest. Da ist
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