Flammen des Himmels
etwas drinnen! Komm, hilf mit! Gemeinsam bekommen wir den Eimer herauf.«
Sofort fasste Frauke zu, und schon berührten sich beider Hände. Während das Mädchen erleichtert lächelte, durchfuhr es Lothar wie ein Schlag. Am liebsten hätte er Fraukes Hände in die seinen genommen und nicht mehr losgelassen. Er besann sich jedoch und begann, die Kurbel zu drehen.
Obwohl Frauke ein kräftiges Mädchen war und alles einsetzte, musste er sich völlig verausgaben, um den Eimer nach oben zu bringen. Als er ihn endlich greifen und auf den Brunnenrand ziehen konnte, fluchte er leise. Böswillige Leute hatten in der Nacht den Eimer mit Steinen gefüllt und in den Schacht hinabgelassen. Es mochte ein Dummejungenstreich gewesen sein, dennoch hatte er ein ungutes Gefühl. Hier in der Stadt gab es etliche Gruppen, die darauf lauerten, einander zu schaden. Zwar hatte er schon einiges von Haberkamp gehört, doch in der kurzen Zeit seit seiner Ankunft war es ihm weitaus deutlicher klargeworden.
»So, das hätten wir geschafft«, rief Frauke erleichtert. »Wer mag das getan haben?«
Lothar zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht. Wir sollten jetzt den Eimer ausleeren und dann Wasser schöpfen. Du wirst gewiss daheim erwartet!«
»Das kannst du laut sagen!«, rief Frauke aus. »Aber da du mir geholfen hast, sollst du als Erste schöpfen. Ich muss sagen, du bist ganz schön kräftig! Das sieht man dir gar nicht an. Dabei bist du kaum größer als ich, und ich werde von etlichen Mädchen und Frauen überragt.«
»Ich bin gewiss nicht stärker als du. Doch zu zweit reichte unsere Kraft aus, den Eimer trotz der Steine nach oben zu kurbeln«, antwortete Lothar und ließ den Schöpfeimer wieder hinab. Als er ihn heraufholte, sah er, dass ein feiner Schmutzfilm das Wasser bedeckte.
»Das kommt von dem Dreck an den Steinen. Ich hoffe, wir können den Brunnen noch verwenden. Nicht dass er unbrauchbar gemacht werden sollte.« Aus Verärgerung verstellte er seine Stimme weniger als sonst.
Frauke musterte ihn durchdringend. Irgendwie erinnerte Lotte sie an Lothar Gardner. Dann aber schob sie diesen Gedanken als lächerlich beiseite und starrte stattdessen den Eimer an. »Wie bekommen wir heraus, ob das Wasser gut ist?«
»Wie sollten ein paar Eimer schöpfen und ausschütten. Ist das Wasser danach wieder klar, werde ich es probieren!« Lothar machte sich sofort ans Werk und ließ den Eimer wieder in den Brunnenschacht hinab.
Unterdessen waren weitere Frauen gekommen, um Wasser zu holen, und sahen ihm verwundert zu. Frauke erklärte ihnen, dass irgendjemand den Schöpfeimer mit Steinen gefüllt und in den Brunnen hinabgelassen habe.
»Als ich gekommen bin, konnte ich den Eimer nicht heraufholen«, setzte sie eifrig hinzu. »Erst als Frau … eh, diese Frau mir geholfen hat, gelang es uns, ihn zu heben.«
Aus einem seltsamen Grund heraus kam es Frauke so vor, als würde sie die Fremde bereits gut kennen, dabei wusste sie noch nicht einmal deren Namen.
»Du bist aber nicht von hier?«, fragte eine der Frauen.
Lothar nickte lächelnd. »Ich bin erst seit vorgestern Abend in der Stadt. Mein Name ist Lotte.«
»Gehörst du zu uns Täufern, zu den elenden Lutherknechten, oder kriechst du noch immer diesem Popanz in Rom in den Hintern?«, fragte die andere weiter.
»Mein Ehemann starb durch die Inquisition, weil er für die Voraussagen des großen Propheten Jan Matthys eingetreten ist!«, erklärte Lothar scheinbar empört, um das Vertrauen der Frauen zu erringen.
»Eine Holländerin bist du aber nicht!«
Die Frau wirkte erleichtert, und damit erhielt Lothar einen weiteren Einblick in die Verhältnisse der Stadt. Wie es aussah, standen die Wiedertäufer nicht als geschlossener Block gegen die Anhänger der Lehre Luthers und die Katholiken, sondern es gab Risse in ihrer Gemeinschaft. Nicht alle einheimischen Wiedertäufer schienen damit zufrieden zu sein, dass mit Jan Matthys und Jan Bockelson Männer aus Holland die Führung beanspruchten. Vielleicht, so sagte er sich, konnte er sich das zunutze machen.
Nach dem vierten Eimer war das Wasser schließlich klar. Lothar schöpfte ein wenig mit der Hand und probierte es. Es schmeckte, wie frisches, reines Wasser schmecken sollte.
»Ich glaube, jetzt können wir es verwenden«, sagte er zu den umstehenden Frauen und füllte als Erstes die beiden Eimer, die Frauke nach Hause bringen musste. Er selbst hatte nur ein Gefäß bei sich, das bald voll war. Danach schöpfte er das Wasser
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