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Flammen des Himmels

Flammen des Himmels

Titel: Flammen des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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für ein altes Mütterchen und ein Mädchen, das noch viel zu klein und schmal aussah, um den schweren Eimer heraufholen zu können. Während er dies tat, unterhielt er sich mit den Frauen und fragte sie nach den Gegebenheiten in Münster.
    Lothar merkte rasch, dass die Frauen über das, was in der Stadt vorging, Bescheid wussten. Zwar hielten die Männer sie von allen Entscheidungen fern, doch sie hatten anscheinend vergessen, dass Frauen ebenfalls Ohren hatten und Münder, die das Gehörte weitergeben konnten.
    Die meisten Frauen glaubten fest an die baldige Wiederkehr Jesu Christi, doch sie sahen auch die Gefahr, die Münster durch Franz von Waldecks Truppen drohte. Die Forderung, all diejenigen zu vertreiben, die es mit dem Fürstbischof halten könnten, klang mehrfach auf. Ein paar wollten ihre katholischen Mitbürger sogar über die Klinge springen lassen, weil sie beim bevorstehenden Jüngsten Gericht ohnehin verworfen und zu ewiger Höllenpein verurteilt würden.
    »Was sagst du dazu?«, wollte eine der Frauen von Lothar wissen.
    »Ich weiß nicht so recht. Solche Ungläubige umzubringen, erscheint mir wenig sinnvoll, denn damit würden wir das Werk Jesu Christi vorwegnehmen.«
    »Also fortjagen!«, schloss die Frau aus seiner Antwort.
    Zwar dachte Lothar nicht so, doch er enthielt sich jeden Kommentars. Mitleid mit jenen, die außerhalb des Täuferkreises standen, stieß hier gewiss nicht auf Wohlwollen.
    Fraukes Rückkehr beendete die Unterhaltung. Zwar hätte diese es bei ihren zwei Eimern belassen können, da kein Waschtag bevorstand und auch der Vater kein Wasser in der Werkstatt benötigte. Doch sie hatte gehofft, dass Lotte noch am Brunnen sein könnte, und beschlossen, noch einmal zu gehen.
    Nun lächelte sie der Fremden freundlich zu. »Ich danke dir, dass du mir geholfen hast, den Eimer mit den Steinen heraufzuholen. Ich hätte sonst zu einem anderen Brunnen gehen müssen und einen viel längeren Weg gehabt.«
    »Es ist nicht des Dankes wert, da ich vor dem gleichen Problem gestanden hätte. Allein wäre es mir unmöglich gewesen, den Eimer hochzuziehen.«
    Eigentlich wollte Lothar das Gesicht abwenden, damit Frauke es nicht genauer betrachten konnte, doch es gelang ihm nicht, dem Bann ihrer leuchtend blauen Augen zu widerstehen. Sie war nicht viel älter als siebzehn und galt den Leuten zufolge als weniger hübsch als ihre Schwester, doch diese Meinung konnte Lothar nicht teilen. Frauke schien ihm in den letzten Wochen sogar noch schöner geworden zu sein, und er wünschte sich, sie einmal ganz zu besitzen.
    Mäßige dich!, rief er sich zur Ordnung. Sie ist eine Ketzerin und du ein Spion des Bischofs. Also waren sie im Grunde Feinde bis aufs Blut. Der Gedanke schmerzte, und er bedauerte nicht zum ersten Mal, sich überhaupt auf dieses Täuschungsspiel eingelassen zu haben. Andererseits war es schön, sie zu sehen, mit ihr zu reden und den Duft ihres Haares zu riechen.
    Zwiegespalten wie noch nie in seinem Leben, verabschiedete Lothar sich von Frauke und den anderen Frauen und trug seinen Eimer zu der kleinen Hütte an der Stadtmauer. Da er sich noch nichts zu essen besorgt hatte, musste er sich mit ein paar Bechern Wasser begnügen. Dann nahm er einen alten Korb, den er ebenfalls aus dem grünen Haus mit der zerschlagenen Heiligenfigur geholt hatte, und machte sich auf den Weg zum Markt.
    Es dauerte eine Weile, bis er alles zusammenhatte, was er seiner Ansicht nach brauchte. Doch just in dem Augenblick, in dem er den Markt verlassen wollte, traf er erneut auf Frauke, die von Katrijn zum Einkaufen geschickt worden war.
    Lothar sah sie an und überlegte, wie er mit ihr ins Gespräch kommen konnte. »Lass mich deinen Korb tragen. Der ist doch viel zu schwer für dich!«
    »Nein, das geht schon«, antwortete Frauke verwundert, da Lotte selbst einen vollen Korb schleppte. Dann entspannte sie sich und lächelte. »Findest du nicht auch, dass die ewige Seligkeit schwer erworben werden muss? So viele von uns wurden getötet oder gefoltert, und nun sind wir heimatlose Flüchtlinge in einer fremden Stadt.«
    »Ja, da hast du wohl recht!« Lothar ahnte, dass sie auf den Tod ihres ältesten Bruders anspielte, und fühlte sich schuldig, obwohl er dem Inquisitor niemals in den Arm hätte fallen können. Zum Glück ist Gerwardsborn weit weg, dachte er und bot Frauke noch einmal an, einen Teil ihrer Einkäufe zu tragen.
    »Weißt du, ich habe nicht so viel«, meinte er lächelnd.
    »Wenn das nicht viel ist!«

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