Flammen des Himmels
erzählen kann.«
»Du musst es mir sofort sagen!«, antwortete Lothar ganz aufgeregt, denn für ihn war es die Gelegenheit, mehr über die Pläne der Täuferführer zu erfahren.
»Ja, aber nicht vor morgen! Silke kann mir die Neuigkeiten erst ins Ohr flüstern, wenn wir zu Bett gegangen sind.«
Zwar war Frauke klar, dass Lothar gerade nach wichtigen Nachrichten hungerte, doch sie wusste auch, dass sie und vor allem ihre Schwester in Gefahr geraten konnten, wenn jemand Verdacht schöpfte, sie könnten die Geheimnisse des Täuferpropheten ausgeplaudert haben. Dann aber sagte sie sich, dass Lothar gewiss vorsichtig sein würde. Auf jeden Fall musste etwas geschehen, um die unerträgliche Lage in der Stadt zu ändern. Ob ihnen dies zum Guten oder Schlechten ausschlagen würde, würden sie erst hinterher erfahren.
»Komm bitte morgen sofort zu mir«, forderte Lothar sie auf.
»Das tue ich!« Frauke blickte sinnend ins niederbrennende Herdfeuer und überlegte. Noch waren Lothar und sie kein Paar. Aber wenn es zum Äußersten kommen sollte, wollten sie es sein.
»Vielleicht …«, setzte sie an, schüttelte dann aber den Kopf.
»Was meinst du?«, wollte Lothar wissen.
»Ich habe überlegt, ob ich das Haus meines Vaters, das ihm sowieso nicht gehört, verlassen und zu dir ziehen soll. Aber das wäre mehr als ungehörig. Ich will zwar eins mit dir sein und darum beten, dass unser Herr Jesus Christus uns trotz des fehlenden Trausegens als Ehepaar betrachtet. Aber ganz hier zu leben und alle Leute zu täuschen, wäre eine zu große Sünde.«
Lothar verstand zwar nicht, warum ein Zusammenleben schlimmer sein sollte als unehelicher Beischlaf, begriff aber, dass er auf Fraukes Gefühle Rücksicht nehmen musste.
»Ich freue mich, wenn es geschieht! Doch soll es aus Liebe und Vertrauen sein, und nicht aus Lust«, sagte er lächelnd.
»Das wird wohl nicht so ganz zu vermeiden sein!« Frauke erwiderte sein Lächeln und wies auf den Napf. »Dein Essen dürfte nun abgekühlt sein. Lass es dir schmecken! Ich muss jetzt nach Hause, sonst schimpft Katrijn wieder mit mir oder schlägt mich sogar.«
»Tut sie das oft?«, fragte Lothar empört.
»Schimpfen? Jeden Tag! Aber das geht bei einem Ohr rein und bei dem anderen wieder raus. Schließlich ist sie nicht meine Mutter und hat mir im Grunde gar nichts zu sagen.«
Frauke konnte ihrem Vater nicht verzeihen, dass er Katrijn ins Haus geholt hatte und mit ihr als Mann und Frau zusammenlebte, obwohl er doch mit ihrer Mutter verheiratet war. Das war ein Grund gewesen, warum sie ernsthaft erwogen hatte, zu Lothar zu ziehen. Sie wusste jedoch, dass sie beide schnell ihrer Leidenschaft erliegen und sündigen würden. Dazu aber war sie nicht bereit.
Entschlossen drückte sie Lothar den Napf in die Hand und wandte sich zur Tür. »Möge unser Herrgott im Himmel dich behüten. Ich werde wiederkommen, sobald ich etwas Neues erfahren habe.«
»Möge Gott auch dich behüten«, antwortete Lothar und sah ihr nach, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Mit einem Mal fühlte er sich verlassen und ganz allein. Seufzend stieß er den Löffel in den Brei und fand diesen wohlschmeckender als in den letzten Tagen, obwohl Frauke kaum mehr getan hatte, als ihn umzurühren.
10.
A ls Frauke nach Hause kam, blickte Katrijn ihr mit gerunzelter Stirn entgegen. »Wo hast du dich schon wieder herumgetrieben?«
»Ich habe Lotte besucht«, erklärte Frauke und erntete ein verärgertes Schnauben von ihrer Stiefmutter.
»Das kannst du machen, wenn du nichts anderes zu tun hast. Silke war vorhin hier! Sie will, dass du ihr hilfst, denn es gilt, die Hochzeit unseres Propheten vorzubereiten.«
»Ich gehe, sobald ich zu Mittag gegessen habe!« Frauke wollte an Katrijn vorbei ins Haus, doch diese packte sie am Arm und hielt sie auf.
»Essen kannst du, wenn du zurückkommst. Jetzt hilfst du erst einmal deiner Schwester!«
Nun bedauerte Frauke es, dass Lothar ihr nichts hatte abgeben können. Sie hatte Hunger, würde aber noch etliche Stunden fasten müssen. Mit einem Ruck löste sie sich von Katrijn und ging zu dem Gebäude hinüber, das Jan Bockelson bewohnte.
Es handelte sich um das stattliche Anwesen eines geflohenen Domherrn und war selbst für einen wohlhabenden Kaufherrn zu prachtvoll. Bisher hatte die Täuferbewegung von ihren Mitgliedern einen schlichten Lebenswandel gefordert. Daher fühlte Frauke sich unbehaglich, als sie eintrat und die wertvollen Parkettböden, die geschnitzten
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