Flammen des Himmels
würde es der Mutter, der Schwester und ihr offenbaren, sobald der Vater und Helm aus dem Haus waren. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie Stillenbeck so schnell wie möglich verlassen mussten. Wenn sie die Straßen mieden und auf heimlichen Pfaden wanderten, konnten sie eventuellen Verfolgern entkommen.
12.
N ach dem Abendessen spülte Frauke und räumte auf, während ihre Mutter entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit auf dem Stuhl sitzen blieb und leise betete. Bislang hatte Inken Hinrichs gehofft, es würde ihnen erspart bleiben, erneut fliehen zu müssen. Doch nun erschien es ihr, als hätten sie bereits zu lange damit gewartet. Die anderen Male hatten sie ihr Haus verkaufen und ihren restlichen Besitz mitnehmen können, auch wenn sie bei der letzten Flucht dem Mob gerade noch entkommen waren. Nun aber würden sie wohl nur das nackte Leben retten können, denn an eine Rückkehr nach Stillenbeck glaubte sie nicht mehr. Zwar vergönnte sie es ihrem Mann und Helm, sich in Sicherheit zu bringen, aber sie sorgte sich nun weitaus stärker um die übrigen Kinder und sich selbst. Da sie aber nichts tun konnte, blieben ihr nur das Gebet und die Hoffnung, dass Gott, der Herr, ihnen gewogen sein würde.
Hinner Hinrichs empfand die Stimmung in seinem Haus als so trübsinnig, dass er aufstand und ein paar Groschen einsteckte. »Ich gehe noch in den Adler ein Bier trinken«, erklärte er und wandte sich zur Tür.
»Soll ich nicht besser einen Krug Bier holen, Vater?«, fragte Helm, der bei ähnlichen Gelegenheiten schon den einen oder anderen Schluck auf dem Weg nach Hause getrunken hatte.
Zu seiner Enttäuschung schüttelte der Vater den Kopf. »Ich muss mich auch mal wieder dort sehen lassen. Sonst heißt es wirklich noch, wir hätten Heimlichkeiten vor den Leuten.«
Hinrichs lachte kurz auf, doch niemand aus seiner Familie verzog eine Miene. Daher verließ er sein Haus mit einem wütenden Schnauben und ging im Schein der Dämmerung zum Markt, der vom Rathaus, der Pfarrkirche, dem Gildehaus und dem Adler, dem größten Gasthaus der Stadt, gesäumt wurde. Als er in den Gastraum trat, sah er Sterken und etliche andere Ratsmitglieder in der für Honoratioren reservierten Stube sitzen. Auf dem Tisch standen große Zinnkrüge, und die Herren ließen sich ein üppiges Mahl schmecken, während er sich hier gewöhnlich mit einem Stück Brot und einer Handwurst zufriedengeben musste.
Der Neid packte ihn, und er wünschte sich das Ende der Welt förmlich herbei, um zusehen zu können, wie all diese Bürgermeister, Ratsherren und Gildemeister zur Hölle fuhren und er selbst an deren Stelle treten konnte. Ein wenig dieser Stimmung musste ihm anzumerken sein, denn als er in das Gewölbe trat, in dem sich die Meister und Gesellen der nachrangigen Gilden aufhielten, sah ihn der Trogmacher Simonsen erstaunt an.
»Was ist denn dir über die Leber gelaufen, Hinrichs?«
»Ach, ich habe mich nur wieder über meine Tochter geärgert.«
Da Hinrichs schon öfter über Frauke und deren aufmüpfiges Wesen geklagt hatte, lachte Simonsen spöttisch auf. »Was willst du? Frauke ist in dem Alter, in dem ein Mädchen der Hafer sticht. Bei meiner Heidrun war es genauso. Da haben selbst Ohrfeigen nichts mehr geholfen. Ich musste schon den Stock nehmen, um sie zum Gehorsam zu bringen.«
Hinrichs war nicht gerade zögerlich, was Schläge betraf, wollte aber nicht als prügelnder Vater gelten.
»Mein Weib kriegt Frauke schon in den Griff. Das hat sie bei unserer Silke auch geschafft«, sagte er und rief der Wirtsmagd zu, ihm den Krug zu füllen. Dann setzte er sich zu den anderen an den Tisch.
Zunächst drehte sich das Gespräch um die Sorgen, die einem die Töchter, aber auch die Söhne in einem gewissen Alter machten, und dazu hatte jeder der Männer etwas beizutragen. Nach einer Weile aber wandten sie sich dem Thema zu, das jeden in Stillenbeck bewegte.
»Der Inquisitor könnte allmählich wieder abreisen«, meinte Simonsen.
Ein anderer nickte. »Zeit wär’s! Es ist eine Zumutung, dass wir diesen schwarzen Kuttenträger so lange in unserer Stadt dulden müssen.«
Hinrichs wusste, dass sowohl der Sprecher wie auch Simonsen dem Luthertum zugeneigt waren. Ohne die Anwesenheit des Inquisitors hätten sie sich bereits offen dazu bekannt. Früher hatte er wie sie gedacht. Nun aber wusste er, dass Luther und dessen Anhänger nur einen von neun nötigen Schritten getan hatten, um des Himmelreichs und des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Daher würden
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