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Flammen des Himmels

Flammen des Himmels

Titel: Flammen des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Gegensatz zu ihr begriff Lothar schnell, dass sie beide in höchster Gefahr schwebten. Wenn jemand sie hier bei dem Leichnam sah, würde man ihnen das unterstellen, was der andere gewollt hatte, und sie hinrichten.
    »Wir müssen schleunigst weg von hier! Kannst du mir aufhelfen? Mir ist noch ganz schwindlig, und ich habe keine Kraft mehr. Außerdem tut mir der Hals fürchterlich weh.«
    Seine Worte brachten Frauke zur Besinnung. Sie versteckte das Messer unter ihrer Kleidung, schob Lothar einen Arm unter die Schulter und zog ihn hoch. Als er endlich stand, musste sie ihn beim Gehen stützen. Zuerst kamen sie nur mühsam voran. Doch Lothar erholte sich bald und lenkte Frauke, die auf geradem Weg nach Hause hatte gehen wollen, um ein paar Ecken, so dass es zuletzt aussah, als kämen sie aus einer ganz anderen Richtung.
    Helm hatte die Hütte bereits verlassen, um seinen Wachdienst zu versehen. Vorher aber hatte er zu Fraukes Ärger ihre Abwesenheit benützt, um den Morgenbrei, der eigentlich für alle drei gedacht gewesen war, allein aufzuessen.
    »Ich bringe ihn um!«, fauchte sie – und zuckte zusammen, denn ihre Worte erinnerten sie an das, was eben geschehen war.
    »Oh Himmel! Wird Gott mir das verzeihen?«, stöhnte sie.
    Lothar trank einen Schluck Wasser und schloss sie dann in die Arme. »Du hast mein Leben gerettet! Hättest du es nicht getan, wäre ich jetzt tot, und dieser Wahnsinnige würde sich an meinem Fleisch laben. Dabei aber hätte er auch erkannt, dass ich keine Frau bin. Wenn er dies an Bockelson und dessen Schergen verraten hätte, wären auch du und Helm in großer Gefahr gewesen. Nein, du hast das einzig Richtige getan. Dafür kann Gott dich nicht strafen.«
    Obwohl Frauke nickte, liefen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen. »Es ist so furchtbar!«
    Lothar begriff, welches Entsetzen sie erfüllte, und küsste ihre kalten Lippen. »Es werden wieder schönere Tage für uns kommen, das verspreche ich dir!«, sagte er und hielt sie so fest in seinen Armen, dass er ihren Herzschlag ebenso spürte wie sie den seinen.
    Es vergingen einige Stunden, bis Frauke ihren größten Schrecken überwunden hatte. Auch Lothar kam nach dem Zwischenfall nicht so rasch auf die Beine, wie er gehofft hatte. Sein Hals schmerzte, und er bedauerte es, dass er keine Pfefferminze und auch kein Süßholz mehr besaß, um sich einen lindernden Aufguss bereiten zu können. So begnügte er sich mit einem Gemisch aus Salbei und Thymian, das zwar nicht so gut schmeckte, aber ebenfalls half. Als er dann auch noch begann, aus ihren gering gewordenen Vorräten ein kleines Mittagessen zu kochen, schüttelte Frauke ihre Benommenheit ab und nahm ihm den Kochlöffel aus der Hand.
    »Du musst mich für ein äußerst jämmerliches Wesen halten, das seine Pflichten versäumt«, sagte sie mit müder Stimme.
    »Im Gegenteil! Du bist die mutigste Frau, die ich kenne, und die einzige, mit der ich mein weiteres Leben verbringen will.«
    Lothar strich ihr über die tränenfeuchten Wangen und küsste ihre Augen, ihre Nasenspitze und ihren Mund. Als er sie wieder losließ, sah er sie mit großem Ernst an.
    »Gott soll mich verdammen, wenn ich je vergesse, was du für mich getan hast! Wir dürfen aber nicht darüber sprechen, denn in dieser Stadt regiert die Willkür und nicht das Recht. Außerdem müssen wir überlegen, was wir tun sollen. Mein Herz drängt mich dazu, bereits in der kommenden Nacht zu fliehen. Wir könnten denselben Weg nehmen wie Gresbeck.«
    Während Lothar Fluchtpläne schmiedete, schüttelte Frauke den Kopf. »Helm würde nicht mitkommen. Da die Landsknechte des Bischofs bereits einige Flüchtlinge erschlagen haben, zittert er vor Angst, ihm könnte das Gleiche widerfahren. Außerdem weiß er, dass der Inquisitor immer noch im Lager des Bischofs weilt.«
    »Notfalls bleibt Helm zurück!« Noch während Lothar diesen Vorschlag machte, wusste er, dass er ihn nicht würde ausführen können. Um zu verhindern, dass zu viele wehrfähige Männer flohen, bestraften die Täuferführer oft genug deren Verwandte. Gresbeck hatte das Glück, dass seine engsten Familienmitglieder bereits von Jan Matthys vertrieben worden waren. Helm war jedoch Fraukes Bruder und, was in den Augen der Wiedertäufer noch schlimmer wog, sein oder, besser gesagt, Lottes Ehemann.
    »Nein!«, sagte er nach einer Weile. »Wir lassen Helm nicht zurück. Ich will nicht mit der Schuld vor Gott treten, dass dein Bruder gestorben ist, weil ich zu feige war,

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