Flammen des Himmels
kannst Stadtknecht in der gleichen Stadt werden, in der ich Draas zum Stadtschreiber mache. Bist du damit einverstanden?«
»Aber ja doch, Herr! Dann können Margret und ich heiraten und ein kleines Häuschen beziehen.« Auch Moritz war zufrieden, obwohl er nicht so reich belohnt wurde wie sein Kamerad. Sein Selbstbewusstsein war aber groß genug, um sich zu sagen, dass er in wenigen Jahren die Stadtknechte anführen würde.
Nun kam das Schwerste für Gardner. Einen jungen Mann wie Draas mit einer ehemaligen Ketzerin zu verheiraten, war eine Sache, doch sein Sohn sollte höher greifen.
Er atmete tief durch und bedachte Lothar mit einem strengen Blick. »Und nun zu dir, mein Sohn.«
Doch da hob Lothar lächelnd die Hand. »Verzeiht, Herr Vater, aber ich habe bereits meinen Weg gewählt. Ich werde weder auf meine alte Universität zurückkehren noch in die Dienste des Fürstbischofs von Münster treten. Es ist zu viel Schlimmes in seinem Namen geschehen.«
»Daran waren wohl eher die Wiedertäufer schuld«, rief Gardner verärgert aus.
»Es sind Greueltaten auf beiden Seiten geschehen«, widersprach sein Sohn. »Ich kann keinem Glauben angehören, bei dem der Gestank versengten Fleisches auf dem Scheiterhaufen den Duft des Weihrauchs verdrängt, und ebenso wenig einem, der nur denen, die zu ihm gehören, das Himmelreich gönnt und alle anderen in die Hölle verdammt, so wie die Wiedertäufer in Münster es lehrten.«
»Und was willst du dann tun?«, fragte Gardner bissig.
»Frauke und ich werden nach Wittenberg gehen und uns von Herrn Martin Luther trauen lassen. Anschließend werde ich auf der Universität von Wittenberg Theologie studieren und Pastor werden. Die Menschen brauchen Liebe und Führung in dieser Welt, und nicht die Drohung mit Hölle und Tod!«
Als Lothar schwieg, reichte Draas ihm die Hand. »Das habt Ihr schön gesagt, Herr Lothar.«
»Sollte es nicht Schwager heißen, denn lange wird es nicht mehr dauern, bis du mit Silke und ich mit Frauke zusammengegeben werden.«
Lothar sah seine Geliebte an und sagte sich, dass keine Wahl glücklicher sein konnte als die seine. Dann lachte er wie befreit auf.
»Was hast du, mein Lieber?«, fragte Frauke verwundert.
»Ich dachte nur an einen Rat, den Jacobus von Gerwardsborn mir vor langer Zeit gab. Er meinte, ich solle Geistlicher werden. Damals fühlte ich keine Berufung dazu. Doch nun werde ich es doch.«
»Und zwar als mein Mann!«, sagte Frauke und fand, dass es kein größeres Glück für sie geben konnte, als ihr Leben mit Lothar zu teilen.
Gardner betrachtete die beiden und spürte die innige Vertrautheit, die sie miteinander verband. Wie es aussah, hatte wirklich das Schicksal die beiden zusammengeführt. Ein wenig schmerzte es ihn, dass Lothar die große Karriere ausschlug, die sich ihm geboten hätte. Zum anderen aber bewunderte er seinen Sohn und fand, dass dieser auch als lutherischer Prediger seinen Weg gehen würde.
»Kommt her«, sagte er, »und lasst euch in die Arme schließen. Ihr habt es beide verdient!«
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Historischer Überblick
K aum etwas war den Menschen des ausgehenden Mittelalters so wichtig wie das eigene Seelenheil und ihr Anspruch auf einen Platz im Himmelreich. Jahrhundertelang hatte die römische Kirche ihren Anspruch, Hüter der Gläubigen zu sein, gegen jedes Abweichlertum gnadenlos verteidigt. Doch in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts wurde ihre Macht brüchig. Hohe kirchliche Ämter wurden vom Adel jener Zeit immer mehr als Versorgungsmöglichkeiten nachgeborener Söhne und Töchter angesehen und entsprechend verteilt und verschachert. Diese Mönche, Nonnen, Priester, Äbte, Bischöfe und so weiter pflegten den gleichen Lebensstil wie ihre weltlichen Verwandten und überließen die Betreuung der ihnen anvertrauten Menschen schlechtbezahlten Hilfspriestern, deren Ausbildung oft zu wünschen übrigließ.
Die Reformation, die Martin Luther anstieß, war eine Folge dieser Verweltlichung der Kirche. Allerdings war Luther nicht der einzige Reformator. Andere Kirchenkritiker wie Calvin und Zwingli waren noch radikaler als er. Es gab sogar Christen, denen selbst diese beiden nicht weit genug gingen. Vor allem lehnte eine sich stark ausbreitende Gruppe die Kindertaufe ab, da diese noch nicht begreifen könnten, was es hieß, den Bund mit Gott einzugehen. In ihren Augen musste ein Mensch, der seine Seele Gott weihte, alt genug sein, um diesen Akt richtig zu verstehen.
Die
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