Flammen des Himmels
fleißig lernst und einen guten Abschluss erreichst, kannst du dir aussuchen, für welchen hohen Herrn du einmal tätig sein willst.«
»Ja, Herr Vater!« Etwas anderes fiel Lothar nicht ein, denn er wagte nicht zu fragen, ob etwas Außergewöhnliches den Inquisitor zur Änderung seiner Pläne bewogen hatte.
»Enttäusche mich nicht, mein Sohn!« Gardner klopfte Lothar auf die Schulter und berichtete dann, was er von Gerwardsborn erfahren hatte.
»Was sagt Ihr? Der Teufel soll die Frau und ihre Töchter befreit haben?«, platzte Lothar heraus.
»So hat Seine Exzellenz es geschildert, und er muss es wissen. Schließlich ist der Inquisitor ein geistlicher Herr und wir nicht«, antwortete Gardner, der so mit sich selbst beschäftigt war, dass er die schlecht verborgene Heiterkeit seines Sohnes nicht bemerkte.
Für den Teufel gehalten zu werden, amüsierte Lothar. Allerdings fragte er sich, was Gerwardsborn damit bezweckte. Als sein Vater jedoch weitersprach und dabei die hohe Summe erwähnte, die der Inquisitor der Stadt abpresste, verschwand seine Belustigung und machte wachsender Bestürzung Platz. Mit Fraukes Befreiung und der ihrer Mutter und der Schwester hatte er Stillenbeck und dessen Bürger um etliche tausend Gulden gebracht. Bei der Erinnerung daran, wie die Leute bei der Verbrennung der beiden Männer gegafft und gejohlt hatten, sagte er sich jedoch, dass es ihnen recht geschehen war. Allerdings konnte er nur hoffen, dass niemals aufkam, wer hinter dem Verschwinden der drei Frauen steckte.
»Ich sehe, der Gedanke an den Teufel erschüttert dich«, sagte sein Vater. »Das ist auch gut so. Der Mensch soll die Zehn Gebote Gottes befolgen und die Heilige Schrift zum Maßstab seines Lebens machen.«
»Ja, Herr Vater!«, sagte Lothar wie gewohnt, wunderte sich aber über solche Worte, denn dies war eine Ansicht, welche von den Lutheranern vertreten wurde. Dabei war sein Vater doch so gut katholisch wie der Fürstbischof selbst. Oder sollte er sich etwa irren? Aber das war nichts, worauf er den Vater ansprechen durfte. Daher bat er nur um genauere Anweisungen für seine Reise, nahm das Zehrgeld entgegen, das sein Vater ihm zur Verfügung stellte, und war schließlich froh, als dieser den Raum verließ, um sich mit einigen Herren vom Rat der Stadt zu besprechen.
Kaum war Lothar allein, galten seine Gedanken wieder Frauke. Er bedauerte es, dass er nie erfahren würde, wo sie und ihre Familie Schutz vor Verfolgungen suchten. Vielleicht war das auch ganz gut so, dachte er dann. Das Mädchen war beherzt und außerdem recht hübsch, aber sowohl von seiner Herkunft her als auch seiner ketzerischen Verwandtschaft wegen war sie keine Jungfrau, die er dem Vater als mögliche Schwiegertochter vorstellen durfte. Für eine reine Liebschaft war sie ihm zu schade. Außerdem wäre eine solche gegen das göttliche Gebot der Keuschheit gewesen, und dagegen wollte er nicht verstoßen. Oder vielleicht doch?
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, suchte er seine Sachen zusammen und packte sie in einen Mantelsack, denn er wollte die Stadt so schnell wie möglich verlassen. Einen Augenblick lang stellte er sich vor, er würde in die gleiche Richtung reiten wie Frauke, lachte aber im nächsten Moment über sich selbst. Es gab so viele Straßen auf der Welt, und da war es unwahrscheinlich, dass sie sich noch einmal begegnen würden.
12.
D a der Mond nur als schmale Sichel am Himmel stand, war es so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte, und die Laterne in Draas’ Hand spendete nur wenig Licht. Während der Stadtknecht zusammen mit Inken Hinrichs die Führung übernommen hatte, stapfte Frauke neben ihrer Schwester her. Sie fühlte sich müde und innerlich wie wund geschlagen. Wenn sie die Augen schloss, sah sie, wie der Foltermeister Dionys ihrer Mutter Gewalt antat und wie ihr Bruder Haug auf dem Scheiterhaufen verbrannte.
»Ich werde nie mehr schlafen können«, stöhnte sie.
»Was hast du gesagt?«, fragte Silke.
»Was haben wir getan, dass Gott uns so straft?«
Da ihre Schwester nicht antwortete, ließ Frauke die Schultern hängen. Wie betäubt von den Schrecken, setzte sie einen Fuß vor den anderen, und als im Osten die ersten Anzeichen des erwachenden Tages zu sehen waren, hatten sich die Schritte bereits zu einigen Meilen summiert.
»Haltet ihr Weibsleute noch ein wenig durch, oder müssen wir eine Rast einlegen?«, fragte Draas.
»Eine Rast wäre mir lieb«, antwortete Silke.
Die Mutter
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