Flammen des Himmels
auf den Inquisitor einzuwirken, schmählich versagt. Doch was konnte er tun, wenn Jacobus von Gerwardsborn gleich das ganze Himmelreich als Begründung für seine Taten anführte?
Während seines Grübelns kam ihm die Erkenntnis, dass er den Inquisitor nicht weniger fürchtete, als es die Bürger dieser Stadt taten. Gerwardsborn war zuzutrauen, dass er jeden auf den Scheiterhaufen schickte, der seine Autorität auch nur im Geringsten anzweifelte.
Also würde er schweigend zusehen, wenn Inken Hinrichs und deren Töchter am nächsten Abend hingerichtet wurden und Gerwardsborn in seinem Wahn weitere Menschen zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilte. Jeder Versuch, den Inquisitor an seinem Tun zu hindern, würde ihn selbst in die Gefahr bringen, als Ketzer verbrannt zu werden. Gardner ärgerte sich mittlerweile, seinen Sohn mitgenommen zu haben, denn Lothar erlebte ihn nun als Feigling, und dafür verachtete er sich. Gleichzeitig war der Junge mindestens ebenso gefährdet wie er selbst. Lothar brauchte nur ein einziges Schachspiel gegen Gerwardsborn zu gewinnen, dann würde dieser ihn beschuldigen, mit Hilfe satanischer Mächte gesiegt zu haben.
»Oh Herr, erlöse uns von diesem Schrecken«, betete Gardner und stellte fest, dass seine Bindung an die römische Kirche, die er bislang nie angezweifelt hatte, durch die Taten des Inquisitors brüchig geworden war.
11.
E benso wie Frauke und ihre kleine Gruppe hatte Lothar mehr Glück, als ihnen allen bewusst war. Von den Männern des Inquisitors kümmerte sich niemand darum, dass der Foltermeister nicht zurückkehrte und seine Ablösung hinunterschickte, denn das gesamte Gefolge des Inquisitors kannte seine Gier nach Weibern. Daher nahmen die Männer an, er würde seine Lust ausgiebig an den gefangenen Frauen stillen.
Dionys selbst erwachte in der Nacht zwar kurz aus seiner Ohnmacht, versank aber trotz seines Brummschädels gleich wieder in einen von fiebrigen Träumen erfüllten Schlaf. So fanden ihn Magister Rübsam und Bruder Cosmas, als sie am Morgen in das Gewölbe kamen, um Inken Hinrichs und ihre Töchter noch einmal zu verhören.
»Besoffenes Schwein!«, schimpfte Rübsam, der noch nicht wahrgenommen hatte, dass die Gefangenen verschwunden waren.
Anders als ihm fiel Bruder Cosmas deren Fehlen sofort auf. Er stieß einen entsetzten Schrei aus und deutete auf die leere Wand.
»Seht doch nur!«
»Was?« Rübsam schüttelte entgeistert den Kopf. »Beim dreigeschwänzten Teufel, was ist das?«
»Da müssen wir diesen Narren fragen!« Bruder Cosmas befahl einem der Knechte, die sie begleiteten, einen Eimer Wasser zu holen und über Dionys auszuleeren.
Der Mann verschwand so rasch, als hätte er Flügel, und kehrte kurz darauf mit einem vollen Eimer zurück. Der kalte Guss weckte den Foltermeister, und er fuhr mit verwirrter Miene hoch.
»Was soll das denn?«
»Das fragen wir uns auch«, antwortete der Magister eisig. »Erkläre uns, wo die Weiber geblieben sind!«
»Welche Weiber?« Dionys sah sich verwirrt um, denn das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war, dass er in der vergangenen Nacht zwei Männer auf dem Scheiterhaufen hatte sterben sehen. Auch sollten die weiblichen Verwandten eines der Ketzer an diesem Tag verbrannt werden. Er blickte sich um, starrte auf die blanken Wände und die am Boden herumliegenden Fesseln und schüttelte den Kopf. Im gleichen Augenblick packte ihn das Gefühl, als würde ihm die Hirnschale von innen gesprengt, und er sank ächzend in die Knie.
»Was ist? Wir warten auf Antwort!«, fuhr Rübsam ihn an.
»Ich … ich kann es nicht sagen«, stöhnte Dionys. »Gestern Abend waren sie noch da.«
»Das weiß ich selbst! Doch ich will wissen, weshalb du hier geschlafen hast, während die Weiber verschwunden sind.« Rübsam war außer sich vor Wut und versetzte dem Foltermeister ein paar Fausthiebe.
Dionys hätte ihn mit Leichtigkeit abwehren können, war aber wie erstarrt. Verzweifelt grub er in seinem Gedächtnis nach dem, was in der Nacht geschehen war, doch er fand nur Leere.
»Verzeiht, Herr Magister, ich kann es nicht sagen. Ich weiß nicht einmal, wie ich hierhergekommen bin«, rief er aus.
Bruder Cosmas maß ihn mit einem strengen Blick. »Du wolltest nach den gefangenen Weibern schauen, hast aber vorher noch geprahlt, du würdest der älteren Tochter zeigen, was für ein Mann du bist.«
Auch mit dieser Auskunft wusste Dionys nichts anzufangen, denn sein Gedächtnis endete mit dem Erlöschen des
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