Flammen im Sand
abzufeuern. »Habe ich Ihnen
schon erzählt, dass ich neuerdings im Modeatelier von Westerland arbeite?«
Fietje machte groÃe Augen. »Bei den beiden Französinnen?«
»Genau! Sie nähen wunderbare Kleider. Alle selbst entworfen. Und
jedes ein Unikat!«
Fietje war zwar aufs Thema Mode nicht sonderlich erpicht, aber dass
Mamma Carlotta eine neue Vokabel gelernt hatte, interessierte ihn. »Unikat!
Donnerschlag! Sie schnacken ja mittlerweile, als wären Sie auf Sylt geboren!
Jawoll!«
Mamma Carlotta war entzückt. Komplimente waren das Salz in der Suppe
des Lebens, sie machten sie sorglos, zutraulich und redselig sowieso. Während
sie Fietje ausgiebig von ihren Erfahrungen als Model erzählte und jeder Abnäher,
den sie am Morgen flach gebügelt hatte, Erwähnung fand, fiel ihr wieder ein,
dass sie mit einem anderen Ziel in die Imbiss-Stube gekommen war, und setzte
endlich zu ihrem zweiten Schuss ins Blaue an: »Yvonne Perrette ist die
Lebensgefährtin von Jannes Pedersen. Wussten Sie das?«
Fietje nickte. Natürlich wusste er das. Ohne rot zu werden,
behauptete Mamma Carlotta, Pedersen sehr gut zu kennen und schon viele
interessante Gespräche mit ihm geführt zu haben. Diese Lüge ging ihr noch
ziemlich glatt über die Lippen. Für die nächste allerdings musste sie ihren
ganzen Mut zusammennehmen. »Er trägt eine teure Uhr. Und er hat mir verraten,
dass er sie von Tove bekommen hat. Hier! In Käptens Kajüte!«
Fietje hatte gerade den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund
geöffnet, aber der Köm erreichte seine Lippen nicht. Entgeistert stellte er ihn
zurück und sah Mamma Carlotta an, als hätte sie ihm mit Gefängnis gedroht.
Sie sah sich schon in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt, da
begann Fietje plötzlich zu lachen. »Das vergessen Sie mal ganz schnell wieder!
Der Pedersen kauft hier nichts.«
»Ich habe ihn aber gestern aus Käptens Kajüte kommen sehen.«
»Warum nicht? In einer Imbiss-Stube gehtâs rein und raus.« Er warf
Tove einen verächtlichen Blick zu. »Zumindest sollte es so sein.«
»Wollen Sie mir weismachen, er hätte hier Kaffee getrunken?«
»Schon möglich.«
»Oder vielleicht doch eher ⦠eine Tote Tante?«
Das Lachen fiel so plötzlich aus Fietjes Gesicht, wie es entstanden
war. Er schob seine Bommelmütze noch tiefer in die Stirn und starrte wieder in
sein Bier. Währenddessen schoben die amerikanischen Gäste sich gegenseitig ihre
Teller zu. Zwar verstand Mamma Carlotta kein Wort, aber sie war sicher, dass
darüber beraten wurde, ob dies wirklich deutsche Hausmannskost war oder ein
Grund, sich zu beschweren.
Da hob Fietje den Kopf wieder und sah Mamma Carlotta ernst an. »Ich
sag Ihnen nur eins, Signora! Sie sind auf dem falschen Dampfer.«
Die amerikanischen Touristen einigten sich darauf, dass das Essen
ungenieÃbar sei, wagten aber unter Toves finsterem Blick nicht, das Bezahlen zu
verweigern.
Während der Wirt zufrieden das Geld einstrich und den groÃen Eimer
heranholte, in dem er das Essen entsorgte, das auf den Tellern geblieben war,
ergänzte Fietje: »Besser, Sie reden mit Ihrem Schwiegersohn nicht darüber.«
Sören wartete nicht, bis Erik das Auto abgeschlossen
hatte. Er lief schon ins Kommissariat, während Erik noch neben dem Wagen stand
und sich mit dem ReiÃverschluss seiner Winterjacke abmühte. Als er Sören
endlich gefolgt war, hörte er ihn schon in seinem Zimmer mit einem Sylter
Zahnarzt telefonieren.
Erik lauschte, aber der Anruf schien vergeblich zu sein. Dann
schnappte er den Namen seines eigenen Zahnarztes auf, der in Westerland
praktizierte. Am Ende jedoch standen auch hier Sörens bedauernde Worte:
»Trotzdem danke für die Auskunft.«
Erik merkte, dass er nervös wurde. So unwahrscheinlich ihm der
Hinweis Mamma Carlottas einerseits erschienen war, so war er doch andererseits
zurzeit der einzige Weg, der zur Identifizierung der Toten führen konnte. Einen
anderen sah er in diesem Augenblick nicht. Und da Elske Pedersen auf Sylt zu
Haus gewesen war, hatte sie sich sicherlich von einem Sylter Zahnarzt behandeln
lassen. Die Chance, durch einen Gebissabgleich zur Gewissheit zu kommen, war
also sehr groÃ. SchlieÃlich ging heutzutage jeder Mensch irgendwann in seinem Leben
zum Zahnarzt, wo sich meist ein Bissabdruck oder ein Röntgenbild fand.
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