Flammen im Sand
verantwortungslos!
»Bei dieser Kälte und diesem Sturm!«, versuchte sie es noch einmal.
»Im Februar ist es immer kalt«, gab Erik gleichmütig zurück, »und
was du einen Sturm nennst, ist nur ein kleiner Wind. Ganz normal für diese
Jahreszeit.«
Für Mamma Carlotta war der Begriff Sturm noch nicht klar definiert,
deswegen blieb sie bei dem, was offensichtlich war. »Diese Dunkelheit! Und
morgen muss das Kind früh raus.«
Erik gähnte noch einmal. »Sie muss nicht zur Schule. Wenn sie müde
im Modeatelier erscheint, ist das nicht schlimm.«
Aber Mamma Carlotta gab noch immer nicht auf. »Felice ist um zehn
nach Hause gekommen. Warum darf Carolina bis Mitternacht wegbleiben?«
»Weil sie zwei Jahre älter ist als Felix. Ihre Freundinnen dürfen
auch bis Mitternacht.«
»Du könntest sie wenigstens abholen.«
»Sie würde drei Tage kein Wort mit mir wechseln.« Erik stand auf und
rückte seine geliebten grünen Sofakissen zurecht. »Ich habe das früher auch
schon so gemacht, das ist eine alte Tradition. Die Jugendlichen sammeln die
Biikezweige und bringen sie zu dem Platz, an dem das Biikefeuer abgebrannt
wird. Und anschlieÃend sitzen sie bei einem heiÃen Getränk zusammen, um sich
aufzuwärmen.« Erik ging zur Tür. »Ich vertraue Caro. Sie wird pünktlich zurück
sein. Vom Hochkamp ist es nicht weit, und sie wird nicht allein unterwegs
sein.«
»Und wenn doch? So einem jungen Mädchen kann alles Mögliche passieren.
Mitten in der Nacht!« Die Sicherheit, in der er sich wiegte, erschien Mamma
Carlotta mehr als fahrlässig. »Es gibt überall üble Kerle, die hinter jungen
Mädchen her sind.«
»Sie hat mir versprochen, mit Dennis und Christopher zurückzufahren,
die wohnen am Dorfteich.« Erik zeigte deutlich, dass er keine weiteren
Diskussionen über seinen Erziehungsstil wollte. »Ich gehe schlafen.«
»Ich warte auf Carolina.«
»Meinetwegen. Gute Nacht.«
»Buona notte.«
Eriks Schritte entfernten sich, dann hörte sie das Klappen der
Badezimmertür, anschlieÃend herrschte Stille. Mamma Carlotta starrte weiter aus
dem Fenster. Kein Licht da drauÃen, nur diese wolkenverhangene Schwärze. Und
keine Stimmen, kein Rufen, kein Gelächter, wie es in ihrem Dorf immer irgendwo
zu hören war, auch während der Nacht. Auf Sylt waren zwar nach Einbruch der
Dunkelheit noch die Autos auf der WesterlandstraÃe zu hören, aber auf
menschliche Stimmen lauschte man vergeblich. Nur der Wind pfiff und heulte,
klapperte mit den Fensterläden und den Gerätschaften, die nicht ordentlich
verstaut waren. Manchmal schien es, als trüge er die Geräusche des Meeres in
den Süder Wung, dann wieder nahm er jeden Laut mit sich und trug ihn zum Meer.
Mamma Carlotta schüttelte ärgerlich den Kopf, löste sich vom Fenster
und sah auf die Uhr. Beinahe elf! Noch eine Stunde am Fenster stehen und
warten? Nein, das hielt sie nicht aus. Jedenfalls nicht, wenn sie während des
Wartens niemanden hatte, mit dem sie reden, alle nächtlichen Gefahren erwägen
und gemeinsam überlegen konnte, wie ihnen zu begegnen sei.
Sie ging in den Flur, schlüpfte aus ihren Pantoletten und zog die
modischen Sneakers an, die ihr ganzer Stolz waren. Früher hatte sie so etwas
Turnschuhe genannt, aber Carolin hatte ihr den Unterschied zwischen Sneakers
und Turnschuhen genau erklärt. Verstanden hatte Carlotta zwar nichts, aber sie
wusste nun, dass sie etwas an den FüÃen hatte, was sogar von jungen Mädchen
bevorzugt wurde. Das machte sie so stolz, dass sie kaum noch etwas anderes
trug, wenn sie das Haus verlieÃ.
Sie warf sich die winddichte Jacke über, die Erik ihr zur Verfügung
stellte, wenn sie auf Sylt war, und zog sich ein Paar von Carolins Handschuhen
an. Vielleicht noch eine der Strickmützen, von denen es auf jedem Garderobenhaken
eine gab? Mamma Carlotta stülpte sich eine über und sah befremdet in den
Spiegel. Noch nie hatte sie etwas anderes auf dem Kopf getragen als ein groÃes
schwarzes Tuch, wenn sie in die Kirche ging, und ein kleines buntes Kopftuch,
wenn sie sich während der Gartenarbeit vor der Sonne schützen wollte. Jetzt
starrte sie ihr Spiegelbild an und kam sich unter der grauen Strickmütze, die
so aussah wie die Kaffeewärmer ihrer Tante Rosella, sehr fremd vor. Aber umso
besser! Dann würde Carolin, wenn
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