Flammen im Sand
Glück konnte sie sich im letzten Moment am Fenstersims
festhalten und auf diese Weise verhindern, dass sie bäuchlings auf dem
umgekippten Stuhl landete. Im Nu schoss ihr die Flamme der Angst vom Kopf bis
in die FüÃe, Hitze breitete sich in ihr aus, ihre Beweglichkeit war
augenblicklich wiederhergestellt.
Tove und Jannes Pedersen waren drinnen in der Küche aufgesprungen
und starrten durchs Fenster. Als ihre Schritte ertönten, hatte Mamma Carlotta
sich längst hinter eine Mülltonne geduckt. Mucksmäuschenstill saà sie da, wagte
kaum zu atmen, fürchtete, dass ihr lauter Herzschlag an die Ohren der beiden
Männer dringen könnte, die vor der weiÃen Hauswand zu erkennen waren. Eine
Taschenlampe flammte auf, Mamma Carlotta hoffte inständig, dass kein Zipfelchen
von ihr hinter der Mülltonne hervorlugte. Sie machte sich so klein wie möglich,
rührte sich nicht, hielt den Atem an und lauschte.
Satzfetzen drangen bis in ihr Versteck. »Nur der Wind ⦠eine Katze,
die auf den Stuhl gesprungen ist â¦Â« Und schlieÃlich: »Wer wird schon annehmen,
dass hier was zu holen ist?«
Dann war der Spuk vorbei. Die Schritte entfernten sich wieder, die
Tür, die aus der Küche in den Hof führte, schlug zu. Tove Griess und Jannes
Pedersen waren verschwunden. Und Mamma Carlotta hatte gemerkt, dass sich der
Schlüssel nicht im Schloss gedreht hatte. Die Tür musste noch offen sein.
Ob sie es wagen konnte? Neben der Küche, das wusste sie, gab es
einen Vorratsraum, in dem sich Bier- und Weinkisten stapelten und groÃe
Mayonnaise-, Senf- und Ketchupspender herumstanden. Zwischen der Küche und der
Theke gab es auch einen schmalen Gang, der in einen winzigen Toilettenraum
führte, den sie nur ein einziges Mal benutzt hatte. Danach hatte sie sich
vorgenommen, dass das nie wieder nötig sein durfte.
Aber mussten, wenn der Wahrheit zum Sieg verholfen werden sollte,
nicht Opfer gebracht werden? Erik würde natürlich von ihrer ständigen Neugier
reden, aber eigentlich sollte er froh sein, wenn sie ihm hier die Arbeit abnahm.
Und Tove konnte ebenfalls froh sein, wenn sie und nicht ihr Schwiegersohn die
verdächtigen Pakete fand. Also würde sie, wenn sie ihren kühnen Entschluss in
die Tat umsetzte, nur Gutes tun. Niemand würde zu Schaden kommen, höchstens sie
selbst, wenn es Tove einfallen sollte, die Toilette zu benutzen, oder gar
Jannes Pedersen. Was von einem Mann zu erwarten war, der seine Frau geschlagen
hatte und sich auch an einer so reizenden Person wie Yvonne Perrette vergriff,
mochte sie sich nicht vorstellen. Also lieà sie es bleiben und dachte daran, dass
sie mit einer heldenhaften Tat der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen konnte.
Dass diese Gerechtigkeit Tove ins Gefängnis bringen würde, diesen Gedanken
schob sie ebenso schnell beiseite. Gerechtigkeit war Auslegungssache, das
lernte in Italien schon jedes Kind. Sie hatte nicht unbedingt etwas mit Recht
und Gesetz zu tun.
Als das Licht in der Küche gelöscht wurde und stattdessen im
Thekenraum anging, wagte sie sich hinter der Mülltonne hervor und huschte auf
die Tür zu, die in die Küche führte. Vorsichtig bewegte sie die Klinke.
Tatsächlich! Tove hatte sie nicht abgeschlossen. Und sie lieà sich sogar fast
geräuschlos öffnen. Als sie die Tür leise wieder hinter sich zuzog, hörte sie
die Stimmen der beiden Männer aus dem Thekenraum. »Geh vorsichtig mit der Kohle
um«, sagte Jannes gerade. »Sonst bist du sie schneller wieder los, als du Rolex
sagen kannst.«
»Für den Umbau habe ich lange sparen müssen«, sagte Tove. »Das weiÃ
hier jeder, dass ich schon lange renovieren will.«
Sie hörte ein Lachen von Tove, das ihr neu war, es klang auf
unangenehme Weise selbstbewusst. »Pass du nur auf, Jannes, dass du nicht zu oft
an der Fähre gesehen wirst.«
»Soll mir mal einer sagen, dass ich im Lister Hafen was anderes tu,
als bei Gosch ein Fischbrötchen zu essen!«
»Und deine Alte?«
»Die weià nie genau, wo ich bin. Und auch nie, wann ich zurückkomme!«
»Du hast die Weiber im Griff! Das muss man dir lassen!«
Wieder stieà Tove ein Lachen aus, das Mamma Carlotta neu war.
Diesmal war es kumpelhaft und sogar ein bisschen bewundernd. In Mamma Carlotta
stieg heiÃe Empörung hoch. Wie konnte Tove einen Kerl wie Jannes Pedersen
bewundern? Es wurde wirklich Zeit, dass
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