Flammen im Sand
Herrn über die Theke geschoben hatte. Als sie eins davon öffnete,
wusste sie, warum Tove es sich leisten konnte, Käptens Kajüte umzubauen. Und
dass er Gefahr lief, demnächst von Erik verhaftet zu werden, wusste sie nun
auch.
Sie starrte die Uhr an, die sie in Händen hielt. Luxusuhren, hatte
Sören gesagt. Was mochte diese Uhr wert sein?
Mamma Carlotta schüttelte den Kopf. Ein Päckchen nach dem anderen
öffnete sie, aber kein einziges gab Aufschluss darüber, welchen Wert sie in
Händen hielt. Mühsam buchstabierte sie die Namen, die auf den Ziffernblättern
standen: Cartier, Breitling, Seiko, Rolex ⦠Sie machten Mamma Carlotta nicht
schlauer, obwohl sie bis zu diesem Moment geglaubt hatte, sich gut mit Uhren
auszukennen. SchlieÃlich bekam jedes Enkelkind von ihr eine Armbanduhr zur
Kommunion geschenkt. Und sie war immer groÃzügig gewesen! Jedes Kind hatte sich
die Uhr aussuchen dürfen, die ihm gefiel. Selbst dann, wenn sie hundert Euro
kostete! Rolex oder Breitling hatte jedoch auf keinem der Ziffernblätter
gestanden, das wusste sie genau! Vermutlich irgendwelche deutschen Hersteller,
die in Italien niemand kannte.
Einem Impuls folgend schob sie eins der schmalen Päckchen in ihre
Jackentasche. Wenn Tove ihr später mit faulen Ausreden kommen würde, dann
konnte sie ihm diesen Beweis unter die Nase halten. Und wenn diese Uhr über
hundert Euro kostete oder gar zweihundert, dann geschah es Tove ganz recht,
wenn er durch diesen schweren Verlust lernte, dass mit schmutzigem Geld niemand
glücklich wurde!
Entschlossen zog sie den ReiÃverschluss ihrer Jacke bis zum Kinn,
dann machte sie sich auf den Weg zur Küchentür. Besser, sie verlieà Käptens
Kajüte durch den Hinterausgang, damit sie sicher sein konnte, dass Carolin sie
nicht dabei beobachtete.
Als sie an der Klinke rüttelte, stellte sie fest, dass die Tür nicht
mehr die alte war. Und mit ihr hatten sich anscheinend auch Toves Gewohnheiten
erneuert. Der Schlüssel steckte nicht mehr im Schloss, so wie früher, die Tür
war von innen nicht zu öffnen. Und bei der Eingangstür war es genauso.
»Allora! Dann eben durchs Fenster!«
Aber auch die waren erneuert worden. Und nachdem Carlotta jeden
Riegel hin und her bewegt hatte, ohne dass sich etwas tat, entdeckte sie die
kleinen Schlösser, die auf jedem Riegel angebracht waren. Tove hatte seinen
neuen Wohlstand gut gesichert und nicht nur die Türen abgeschlossen, sondern
sogar die Fenster. Mamma Carlotta lehnte sich schwer atmend gegen die
Fensterbank. Sie saà in der Falle!
Es war der 20. Februar, ein Tag vor dem Biikebrennen!
Erik schloss die Badezimmertür und lauschte. Plötzlich wurde ihm
bewusst, dass ihm schon beim Aufstehen etwas anders vorgekommen war. Im Haus
war es beinahe so still, als wäre Mamma Carlotta nicht zu Besuch. Zwar hatte er
schon die Espressomaschine zischen hören, aber das lebhafte Hin und Her fehlte
ihm, das Klirren und Poltern, die kleinen Ausrufe, das Schimpfen mit den
Gegenständen, die zu Boden gefallen waren, die Selbstgespräche, die schnellen
Schritte. Jetzt drang nicht mehr als leises Geschirrklappern aus der Küche und
dann ⦠ein schwerer Seufzer.
Erik fing an, sich Sorgen zu machen. Ging es seiner Schwiegermutter
nicht gut? Noch nie hatte er sie krank erlebt und unpässlich nur, wenn es einen
guten Grund dafür gab. Also immer dann, wenn viele Rotweingläser zu spülen und
mehrere leere Flaschen nach drauÃen zu tragen waren. Aber krank war sie niemals
gewesen. Nicht einmal an eine schwere Erkältung konnte er sich erinnern oder an
Magenbeschwerden, wie sie ihn selbst gelegentlich überfielen. Bisher hatte er
sie für leistungsfähiger gehalten als sich selbst, aber er musste wohl doch ein
Auge auf sie haben. Sie machte ihm den Haushalt, während sie auf Sylt war,
kochte und sorgte für die Kinder, arbeitete nun sogar im Modeatelier und hatte
in der vergangenen Nacht vermutlich bis zwölf auf Carolin gewartet. Er musste
darauf achten, dass sie sich nicht zu viel zumutete.
»Buon giorno, Enrico!« Tatsächlich machte Mamma Carlotta einen
übermüdeten Eindruck, als er die Küche betrat. Zwar sprang sie sofort auf und
beeilte sich, einen Espresso für ihn zu kochen, den Schinken zu würfeln, das Ãl
in der Pfanne zu erhitzen und die Eier hineinzuschlagen â aber das alles wirkte
nicht so dynamisch wie
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