Flammen im Sand
recht.«
Stille senkte sich über die Schneiderwerkstatt. Carolin widmete sich
wieder dem Rocksaum, an dem sie arbeitete, Mamma Carlotta tat so, als hätte sie
mit dem Ãrmelbündchen zu tun, während Geraldines Stimme gedämpft durch die geschlossene
Tür drang.
Mamma Carlotta dachte so fieberhaft nach, dass sie sich den
Rückstich, auf den es jetzt ankam, nicht zutraute. Hatte sie Jannes Pedersen
etwa zu Unrecht verdächtigt? Nun wusste sie jedenfalls, dass auch Geraldine die
Gelegenheit gehabt hatte, Elske zu ermorden. Zwar war sie vor fünf Jahren nicht
auf Sylt gewesen, aber das Arbeitszeugnis einer Firma in Flensburg bewies, dass
sie sich in der Nähe aufgehalten hatte, als Elske verschwand.
Immer dichter drängten sich die Menschen ans Biikefeuer,
aber der Strom derer, die mit ihren Fackeln von der StraÃe zur Norddörfer Halle
einbogen, riss noch nicht ab. Erik hatte Geraldine inzwischen aus den Augen
verloren, und seitdem fragte er sich, warum sie überhaupt gekommen war. Machte
es ihr wirklich Freude, unter den derzeitigen Umständen an einem Volksfest
teilzunehmen? Erik spürte, dass ein winziger Widerwille in ihm rumorte. Aber
dann sagte er sich, dass sie sich wohl ablenken wollte von ihren persönlichen
und beruflichen Sorgen. Und vermutlich wollte sie sich auch ihren Kundinnen
zeigen, damit niemand auf die Idee kam, dass sich an den Leistungen des
Modeateliers etwas änderte, nur weil eine der beiden Chefinnen nicht mehr an
der Nähmaschine saÃ.
Die Feuerwehrleute nahmen Aufstellung, sie durchbrachen hier und da
die dichten Reihen. In einer dieser Lücken sah er Geraldine wieder. Sie sprach
mit Wilko und Marikke Tadsen. Bis sich jemand davorschob, konnte Erik erkennen,
wie Wilko versuchte, den Rollstuhl seiner Frau in eine Position zu schieben, in
der Marikke das Biikefeuer ungehindert betrachten konnte.
Gerade als sich die Lücke wieder geschlossen hatte und Geraldine
nicht mehr zu sehen war, tippte ihm jemand auf die Schulter. »Moin, Wolf! Da
sehen wir uns ja schon wieder!«
Die Staatsanwältin reichte Erik lächelnd die Hand, sie schien guter
Laune zu sein. Schon am Vormittag, als sie einen Besuch im Kommissariat
Westerland gemacht hatte, war sie erstaunlich jovial gewesen. Widerwillig
musste er anerkennen, dass sie gut aussah mit den straff zurückgekämmten
Haaren, um die sie ein wollenes Tuch gebunden hatte. Sie hatte ihr leichtes
Ãbergewicht im Griff, indem sie sich in dunkle Stoffe kleidete, häufig längs
gestreifte Kleidung trug und sich immer für Schnitte entschied, die ihre Figur
streckten. Mit Vorliebe trug sie sehr hohe Absätze, selbst zum Biikebrennen war
sie in hochhackigen Stiefeletten erschienen.
Erik sah sich unruhig nach seiner Schwiegermutter um. Er war froh,
als er sah, dass sie soeben Frau Kemmertöns begrüÃte und keine Notiz von der
Staatsanwältin nahm. Sie wusste ganz genau, dass Erik häufig Probleme mit Frau
Dr. Speck
hatte, dass er sie nicht leiden konnte, genauso wenig, wie sie ihn leiden
konnte, und dass er von ihr oft ungerecht behandelt wurde. Auf keinen Fall
wollte er, dass Mamma Carlotta auf die Staatsanwältin traf. Er wusste doch, wie
sie reagierte, wenn sie witterte, dass ein Familienangehöriger nicht so
beurteilt wurde, wie er es verdiente. Ein Kind wurde dann bei seinem Lehrer
über den grünen Klee gelobt, bis der einsah, dass es eine bessere Note
verdiente, den potenziellen Schwiegersöhnen, die unentschlossen wirkten, wurden
die Töchter angepriesen und den künftigen Ausbildern die Söhne der Capellas,
die angeblich so fleiÃig und willig waren wie sonst keine. Erik fürchtete, dass
Mamma Carlotta, wenn sie begriff, dass sie die Staatsanwältin vor sich hatte,
sämtliche Vorzüge ihres Schwiegersohns aufzählen und dabei vor keiner Ãbertreibung
haltmachen würde.
»Mein Schwager Stefan Lürsen«, stellte Frau Dr. Speck
ihren Begleiter vor, »der Mann meiner Schwester.«
Ein attraktiver Mann lächelte Erik an, elegant und teuer gekleidet,
das war auf den ersten Blick zu erkennen. Auch der Hund, den er an der kurzen
Leine führte, sah elegant und teuer aus. Ein Rhodesian Ridgeback, der Erik aus
ruhigen, aufmerksamen Augen anblickte und ihm über die Hand leckte, als er den
Kopf des Tieres streichelte.
»Hoffentlich macht ihm das Prasseln des Biikefeuers keine Angst«,
meinte Erik.
Aber Stefan Lürsen
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