Flammen im Sand
schüttelte den Kopf. »Henri ist lammfromm. Den
regt so schnell nichts auf.«
»Sind Sie im Laufe des Tages weitergekommen?«, erkundigte sich die
Staatsanwältin. »Haben die Befragungen etwas gebracht?«
Als hätte er auf sein Stichwort gewartet, drängte sich Rudi Engdahl
zu Erik durch. Erschrocken blieb er vor der Staatsanwältin stehen und sah so
aus, als würde er am liebsten wieder kehrtmachen. Aber es war zu spät.
»Vor einer halben Stunde habe ich die letzte Person auf meiner Liste
besucht«, berichtete er und vermied es, die Staatsanwältin anzusehen. »Eine
frühere Klassenkameradin, mit der Elske Pedersen bis zu ihrem Tod Kontakt
pflegte.«
»Und?«, fragte Erik freundlich. »Haben Sie was Interessantes
erfahren? Irgendetwas, was uns weiterbringt?«
Ehe Rudi Engdahl antworten konnte, veranschaulichte die
Staatsanwältin, wie sie sich Eriks Frage vorgestellt hätte und sich Engdahl
Antwort wünschte: kurz und bündig! »Konkrete Ergebnisse?« Sie hielt ihre rechte
Hand hoch, die in einem dünnen ledernen Fingerhandschuh steckte, und zeigte
Daumen, Zeige- und Mittelfinger. »Erstens, zweitens, drittens!«
Engdahl kam mit dem zackigen Sprachstil der Staatsanwältin genauso
schlecht zurecht wie Erik. Und ihm fiel so schnell nicht ein, wie das, was er
zu berichten hatte, in Gliederungspunkte zu unterteilen war. Also stotterte er
verlegen: »Nichts! Also, ich meine ⦠erstens: nichts!«
»Und zweitens?«
»Auch nichts. Elske Pedersen hat niemandem etwas von ihren Plänen
verraten. Die meisten sagen aber aus, dass sie in den Wochen vor ihrem
Verschwinden verändert war. Entspannter, fröhlicher.«
Erik nickte. »Sie hatte sich endlich entschlossen, Jannes zu
verlassen. Wahrscheinlich hat sie sich jahrelang mit dieser Entscheidung
herumgequält und fühlte sich schon besser, als sie endlich wusste, wie es mit
ihrem Leben weitergehen sollte.«
»Irgendwelche Feinde?«, fragte die Staatsanwältin.
Rudi Engdahl schüttelte den Kopf. »Angeblich hatte sie keine.« Die
Konfrontation mit der Staatsanwältin schien ihm von Minute zu Minute weniger zu
gefallen, seine Augen baten darum, entlassen zu werden.
Erik tat ihm den Gefallen. »Vielen Dank, dann lassen Sie sich
nachher den Grünkohl gut schmecken!«
Rudi Engdahl bedankte sich erleichtert und fühlte sich dermaÃen
befreit, dass er vor der Staatsanwältin sogar eine Verbeugung andeutete. »Die
Sache dürfte jetzt die Runde machen«, sagte er noch, und seine Stimme hörte
sich nun viel sicherer an. »Menno Koopmann wird uns bald auf die Nerven gehen.«
»Das ist sein Job«, entgegnete die Staatsanwältin scharf, die mit
dem Chefredakteur des Inselblattes befreundet war.
Rudi Engdahl, der gerade noch geglaubt hatte, sich einen guten
Abgang verschafft zu haben, sah nun ein, dass er seine Lage nur verbessern
konnte, wenn er schleunigst verschwand. Mit einem kurzen Gruà zog er sich ans
andere Ende der Biike zurück, wo er vor der Staatsanwältin sicher war.
»Das wird schwierig«, sagte Erik, damit die Staatsanwältin bloÃ
nicht glaubte, dieser Fall sei in wenigen Tagen zu lösen.
Aber sie schien am Biikefeuer hauptsächlich Privatperson zu sein und
reagierte unerwartet freundlich. »Klar, das wird nicht leicht«, bestätigte sie.
»Sehen Sie irgendwo ein Motiv?«
»Nicht wirklich«, gab Erik zurück. »Der Ehemann ist gewalttätig, er
kommt also als potenzieller Täter in Betracht.«
»Alibi?« Da war er wieder, der minimalistische Sprachstil.
Erik hob die Schultern und lieà sie wieder fallen. »Er sagt, er war
an dem Tag, als seine Frau verschwand, mit einem gewissen Sam Steiner zusammen.
Aber der lebt nicht mehr.«
Erik wollte gerade ergänzen, dass er bereits alles in die Wege geleitet
hatte, um mehr über diesen Sam Steiner zu erfahren, als plötzlich der Hund
unruhig wurde. Er hatte offenbar einen kleinen Artgenossen gewittert, der in
der Nähe an einer langen Leine gehalten wurde.
»Gib Henri auch mehr Leine«, sagte die Staatsanwältin und wies auf
den Ridgeback, der ungeduldig an seinem Halsband zerrte.
Die Leine gehörte zu denen, die sich automatisch entrollten, wenn
der Hund entsprechenden Zug ausübte. In der dichten Menschenmenge hatte Stefan
Lürsen diese Automatik gestoppt, nun aber löste er sie und gab Henri damit
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