Flammen über Arcadion
übersät, doch sie sahen aus wie alte Wunden. Seine Haltung und auch die Blicke der anderen Mutanten legten den Schluss nahe, dass er der Anführer der Gruppe war. Er hatte einen langen Speer in der Hand, aber die Spitze aus gefeiltem Metall zeigte nicht auf Carya, Jonan und Pitlit, sondern harmlos zum dämmrig werdenden Himmel hinauf.
Als der Mann Jonan erreicht hatte, warf er ihm einen kurzen, prüfenden Blick zu, dann wandte er sich überraschend von ihm ab und ging auf Carya zu. Er blieb vor ihr stehen, seine dunklen Augen musterten sie, und sein Blick blieb unangenehm lange auf der Wölbung ihrer Brüste liegen. Nein , erkannte Carya gleich darauf. Er starrt auf das Amulett, das ich trage.
Der Mann hob seine schwielige Linke. Es war eine absichtsvoll langsame Geste, die nicht bedrohlich wirkte. Obwohl ein Teil von ihr angstvoll zurückzucken wollte, rührte Carya sich nicht von der Stelle, sondern ließ ihn gewähren. Behutsam, beinahe andächtig, strich der Mann über das silberne Metall des Anhängers, nahm ihn in die Hand und drehte ihn zwischen den Fingern. »Tochter des Himmels … «, murmelte er mit dunkler Stimme.
»Wie bitte?«, fragte Carya unsicher.
Der Mann ließ das Amulett los und trat einen Schritt zurück. »Du«, sagte er und deutete mit dem Finger auf Carya. »Komm mit uns.« Es war keine Bitte, eher ein Befehl.
Nun endlich schritt Jonan ein. »Was habt ihr vor?«, fragte er scharf. Offenkundig dachte er nicht daran, sich einfach so in die Hand der Mutanten zu begeben. Er hatte die Brust herausgereckt und stellte eine grimmige Miene zur Schau, ein Anblick, der bei seiner Statur durchaus Eindruck zu schinden vermochte.
Ein paar der Mutanten gaben Drohlaute von sich, und zwei senkten ihre Speere.
Jonan hob sein Sturmgewehr ein wenig.
»Nein!«, ging der Grauhaarige dazwischen und gebot seinen Gefährten mit einer energischen Geste Einhalt. Sie gehorchten mit spürbarem Widerwillen.
Er richtete sein Augenmerk auf Jonan. »Euch geschieht nichts. Aber sie muss mitkommen.«
»Carya geht nirgendwohin!«, bestimmte Jonan.
»Sie muss mitkommen!«, grollte der Mutant und trat auf den Ex-Templer zu. Jonan hob seinen Gewehrlauf, doch der andere Mann griff einfach danach und zwang ihn zur Seite. In einem verbissenen Kräftemessen rangen die beiden Männer um die Kontrolle über die Waffe. Carya wusste, dass Jonan jederzeit hätte abdrücken können. Sie war ihm dankbar dafür, dass er es nicht tat.
»Hört auf!«, sagte sie bestimmt. Sie legte Jonan und dem Mann eine Hand auf die Schulter. »Bitte hört auf.« Sie schaute erst den Mutantenanführer und anschließend Jonan an. »Ich gehe mit. Irgendetwas an dem Amulett kam ihm offenbar bekannt vor. Vielleicht wissen diese Leute mehr über den Verbleib der Kapsel.«
»Bist du sicher?«, wollte Jonan wissen. In der Frage schwang eine Warnung mit, die er nicht aussprach, aber die sie auch so verstand. Hier mochten sie noch eine Chance gegen die Mutanten haben, wenn auch nur eine kleine. Befanden sie sich erst in deren Lager, waren sie ihnen auf Gedeih undVerderb ausgeliefert.
»Ja, das bin ich«, sagte Carya und nickte zur Bekräftigung.
Jonan warf dem Mutanten einen letzten Blick zu, anschließend entzog er diesem den Sturmgewehrlauf und senkte die Waffe wieder. »Also schön.Aber wir gehen alle gemeinsam. Ich überlasse dich nicht diesen Wilden.«
»Nett, dass mich keiner fragt, was ich will«, mischte sich Pitlit mit beleidigter Stimme ein.
»Möchtest du hierbleiben?«, fragte Jonan.
»Natürlich nicht.«
»Na also.«
»Ich meine ja nur … « Der Straßenjunge schob missmutig die Unterlippe vor.
Die Mutantengruppe nahm sie in die Mitte und marschierte mit ihnen aus der Schneise hinaus in den Wald, der sie von der Handelsstraße fort ins Hinterland führte. Sie folgten keinem erkennbaren Pfad, sondern schlugen sich quer durch die Wildnis. Carya fürchtete schon, dass Unterholz und Strauchwerk ihren Marsch zu einer Quälerei lassen würden, aber das trockene Wetter und der karge Boden hielten selbst hier, an einem Ort, der von den Menschen seit Jahrzehnten aufgegeben worden war, das Wuchern der Vegetation in Grenzen.
Die Mutanten schlugen ein gemächliches Marschtempo an, vielleicht aus Rücksicht auf Carya und Pitlit, vielleicht auch einfach, weil sie es nicht eilig hatten. Nach zwei Stunden erreichten sie einen breiten Flusslauf – Caryas Karte zufolge handelte es sich um den Tevere – , und da das Tageslicht mittlerweile merklich
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