Flammen über Arcadion
war ein unglaublich befreiendes Gefühl, einfach mal mit einem Freund herumalbern zu können – genauso, wie sie es früher mit Rajael gemacht hatte.
»Aber mal im Ernst«, sagte Jonan, als sie sich wieder beruhigt hatten und ihren Weg fortsetzten. »Du glaubst, die Invitros können dir helfen?«
»Sie sind imstande, künstliches Leben zu zeugen«, erwiderte Carya. »Heißt das nicht, dass sie über Wissen verfügen, das bis in die Zeit vor dem Sternenfall zurückreicht? Ich weiß ja auch nicht genau, was ich mir von ihnen erhoffe, aber vielleicht besitzen sie Techniken, die wir uns nicht einmal vorstellen können und die es mir ermöglichen, zu meinen Eltern vorzudringen.«
Nachdenklich runzelte Jonan die Stirn. »Ich frage mich, ob du dir nicht zu viel von denen versprichst. Die Invitros, die ich kennengelernt habe, kämpften alle mit gewöhnlichen Pistolen, und über ihre Brutanlagen hinaus haben sie nichts Außergewöhnliches besessen. Nichts, was ihnen dabei geholfen hätte, gegen einen Einsatztrupp der Templer zu bestehen.«
»Ich muss es versuchen«, sagte Carya eindringlich. »Sie sind meine letzte Hoffnung.«
Jonan schürzte die Lippen und sah sich im Dorf um. »Diese Mutanten sind keine schlechten Kämpfer. Das Leben in derWildnis hat sie zäh gemacht, und ihr Ruf als grausame Bestien wäre in einem Kampf ziemlich hilfreich. Allerdings müssen wir uns eine Frage stellen – vor allem du, die du als Tochter des Himmels vielleicht sogar die Macht hättest, sie in einen irrwitzigen Kreuzzug zu führen: Wie viele Opfer ist das Leben deiner Eltern wert? Denn eins ist klar: Jeder Angriff auf den Lux Dei würde Opfer fordern, womöglich sogar viele Opfer. Eine Kostprobe davon haben wir ja bereits erhalten.«
Caryas Schultern sackten herab. In Jonans Worten lag entmutigend viel Wahrheit. »Ich soll also meine Eltern einfach aufgeben?«, fragte sie.
»Das wollte ich damit nicht sagen. Ich versuche dir nur klarzumachen, dass du dich vielleicht von deiner Vorstellung einer direkten Konfrontation mit dem Lux Dei lösen solltest. Wir sind nicht genug Leute, und uns fehlen die Mittel, um die Templer herauszufordern. Und dabei spreche ich nicht einmal von einer Feldschlacht, sondern von einem Überfall bei Nacht und Nebel. Ich fürchte, wir würden ebenso scheitern wie beim letzten Mal, als wir in die Falle der Inquisition getappt sind.«
Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich haben wir nur eine Möglichkeit: Wir müssen die Situation in Arcadion ändern. Wir müssen all die Unzufriedenen aufrütteln, die es in der Stadt gibt und die sich nicht trauen aufzubegehren, weil sie sich alleine fühlen und Angst haben.«
»Du sprichst von heimlichem Widerstand, wie ihn die Ascherose geleistet hat?«
»In etwa – nur nicht ganz so im Verborgenen geführt und nicht ganz so verkopft. Man müsste Wege finden, die Menschen auf die Missstände innerhalb des Ordens aufmerksam zu machen. Gleichzeitig müsste man den Orden durch nadelstichartige Angriffe nervös machen. Ich habe noch keinen genauen Plan, wie so etwas vonstatten gehen könnte, aber schau doch nur Pitlit, dich und mich an:Wir kommen aus unterschiedlichen Schichten, und unser Leben hat sehr unterschiedliche Bahnen durchlaufen. Und dennoch sind wir alle drei zu der Überzeugung gelangt, dass in Arcadion etwas faul ist. Wenn wir das erkannt haben, wie vielen anderen Bürgern geht es dann genauso?«
Seine Worte machten Carya nachdenklich. Auf eine derart planvolle Vorgehensweise wäre sie gar nicht gekommen. Das überraschte sie, denn sie hatte sich nie für einen Menschen gehalten, der rein impulsiv handelte. Doch was Jonan andeutete, stimmte: Seit Tagen wurde sie von dem ständigen Drang angetrieben, nach vorne zu stürmen. Natürlich war die Sorge um ihre Eltern ein ausreichend starker Grund dafür. Nichtsdestotrotz mochte es an der Zeit sein, sich selbst etwas zu zügeln. »Ja«, sagte sie schließlich. »Womöglich hast du recht.«
In der Zwischenzeit hatten sie den Dorfplatz erreicht, und Carya lenkte ihre Schritte in Richtung des Tempelbauwerks, in dessen Inneren noch immer die Kapsel auf sie wartete. Sie wechselte mit Jonan einen Blick. »Gehen wir hinein. Ich möchte endlich wissen, wer ich wirklich bin.«
Sie stiegen die Treppenstufen zum Eingangsportal hinauf und nickten den beiden jungen Männern zu, die mit stoischer Miene davor Wache hielten. Diese erwiderten den Gruß mit einer Verbeugung, die Carya einmal mehr einen Stich versetzte. An ihr war
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